Abschied von der BĂŒropflicht
Als im MĂ€rz 2020 klar wurde, wie wichtig Social Distancing fĂŒr die EindĂ€mmung der Pandemie ist, bekam das Homeoffice plötzlich eine enorme Aufwertung. Und mit der Zeit wurde aus der anfangs eindringlichen Bitte schlieĂlich die Pflicht. NatĂŒrlich ist Homeoffice dabei nicht fĂŒr alle Berufe umsetzbar â aber fĂŒr erstaunlich viele und zunehmend mehr [1, 2].
Denn die digitale Transformation unserer Arbeitswelt war auch schon vor der Pandemie in vollem Gange. Die Pandemie war letztlich nur, was krĂ€ftiger Wind fĂŒrs Drachensteigen ist. So haben mittlerweile 56% aller BeschĂ€ftigten in Deutschland die Möglichkeit zum Homeoffice. Noch vor der Pandemie war es nicht einmal die HĂ€lfte davon [1, 3, 4].
Eine Notlösung finden ist natĂŒrlich das eine. Doch noch erstaunlicher ist, was danach kam. Denn die vorher groĂ beschworenen Defizite des Homeoffice â sie blieben ĂŒberwiegend aus.
Ăberraschend praktisch
Einer der vielen Vorbehalte war das Bild des zu Hause nur rumtrödelnden Mitarbeiters. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Denn die meisten Angestellten wurden in den eigenen vier WÀnden sogar produktiver als zuvor [5, 6].
Die Mehrheit gab zudem an, im Homeoffice eine bessere Leistung erbringen zu können, Beruf- und Privatleben leichter zu vereinbaren sowie Zeit durch wegfallende Arbeitswege und Pendeln einzusparen. Dabei spricht das Argument mit der gewonnenen Lebenszeit fĂŒr sich [6].Â
Denn einem Erwachsenen in Deutschland bleibt im Schnitt nicht mal ein Viertel des Tages zur Freizeitgestaltung. Jede weitere Stunde ist damit keine Kleinigkeit. Menschen verspĂŒren nĂ€mlich nachweislich eine gröĂere Freude und Lebenszufriedenheit, wenn sie mehr Freizeit haben [7].
Bitte nicht falsch verstehen. Die Rede ist nicht von gar nicht mehr arbeiten â nur von anders und effizienter. Die Zahlen sprechen fĂŒr sich:
Ein weiterer Vorteil des Homeoffice ist die neue FlexibilitĂ€t. Denn egal, ob Arzttermin oder der rare Moment von Sonne im Winter: Die Möglichkeit, seine Arbeitszeit spontan anpassen zu können, macht viele Dinge einfach, die frĂŒher unnötig schwer waren [8].Â
âNew Workâ ist dabei keine EinbahnstraĂe. Auch fĂŒr Arbeitgeber entstehen offensichtliche Vorteile: Laut Umfragen profitieren viele von der höheren ProduktivitĂ€t und besseren Erreichbarkeit der Angestellten. Zudem gaben manche an, damit als Arbeitgeber ihre AttraktivitĂ€t gesteigert zu haben und nun âBĂŒroflĂ€chen optimiert zu nutzenâ â also Kosten sparen zu können [6].
Um das Homeoffice jedoch auch langfristig zum Erfolgsmodell fĂŒr alle Beteiligten zu machen, braucht es klare Spielregeln und ungewohnte VorsichtsmaĂnahmen.Â
Risiken und Nebenwirkungen
Es gibt nĂ€mlich auch Berichte von insgesamt lĂ€ngeren Arbeitszeiten und einer Mehrbelastung durch die stĂ€ndige Erreichbarkeit im Homeoffice. Auch sind zwar erstaunlich viele TĂ€tigkeiten â von Kommunikation ĂŒber PC-Arbeit â auch im Homeoffice ausfĂŒhrbar, aber bei Weitem nicht alle. Das kann schnell zu Neid und Unmut unter benachteiligten Kollegen fĂŒhren [6, 8].Â
Auch können die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben verschwimmen. Dadurch kann einerseits die Arbeitszufriedenheit abnehmen, aber auch Konflikte innerhalb der Familie entstehen. Denn die spĂ€te Mail am Abend weckt nicht nur Gedanken an die Arbeit, sie macht auch die ununterbrochene Erholungszeit insgesamt kĂŒrzer [6, 8].
Ein weiteres hĂ€ufig beklagtes Hindernis sind die technischen EinschrĂ€nkungen. Egal ob mangelhafte Ausstattung, Datenschutzprobleme oder fehlender VPN-Tunnel: Die digitale Kommunikation ist immer nur so gut wie die ihr zugrunde liegende Infrastruktur [6, 9, 10].Â
Doch vielleicht ist dem ein oder anderen bei all diesen EinwĂ€nden schon eine wichtige Gemeinsamkeit aufgefallen: Sie sind alle vermeidbar.Â
Hierarchien im Homeoffice?
NatĂŒrlich werden in der âNew Workâ nicht plötzlich alle zu Solo-SelbststĂ€ndigen. Somit bleiben FĂŒhrungsebenen und Hierarchien, aber sie werden anders ausgelegt. Und dabei ist die neue rĂ€umliche VerĂ€nderung keineswegs der einzige Antreiber.Â
Denn in einer sich schnell verĂ€ndernden digitalen Welt ist das alte Modell des âallwissenden und ĂŒberall involvierten Chefsâ schlicht nicht mehr umsetzbar. Zu groĂ ist die Notwendigkeit fĂŒr jeden Mitarbeiter, im globalen Wettbewerb eigene Spezialisierungen aufzubauen. Damit steigt dann auch die Eigenverantwortung.
Mehr Entscheidungsspielraum und SelbststĂ€ndigkeit werden zwangslĂ€ufig NormalitĂ€t und lösen die Tage des Mikromanagements ab. So wird jeder Mitarbeiter zum Inhaber von bestimmten Aufgaben oder Projekten, fĂŒr die er Verantwortung ĂŒbernimmt und ĂŒber die er Kollegen regelmĂ€Ăig informiert.Â
Diese neue Arbeitsweise wĂŒrde natĂŒrlich auch im GroĂraumbĂŒro funktionieren. Aber speziell fĂŒrs Homeoffice wurden damit die letzten Steine aus dem Weg gerĂ€umt.Â
Insgesamt funktioniert Homeoffice am besten, wenn eine gute Vertrauensbasis aufgebaut und klare vertragliche Spielregeln vereinbart wurden. Zudem hilft zeitliche und rĂ€umliche FlexibilitĂ€t bei Arbeitsort und -ablauf. RegelmĂ€Ăiges Feedback ohne ĂŒbertriebene Informationspflicht ebenso. Deadlines sollten klar, aber nicht pedantisch sein [8, 11-13].
Zu Hause gesund bleiben
FĂŒr die meisten kommt die Aussage, wie eng Arbeit und Krankheit miteinander zusammenhĂ€ngen, wenig ĂŒberraschend. Wer krank ist, kann oftmals nicht seiner Arbeit nachgehen. Und gleichzeitig kann Arbeit krank machen.Â
Ein Blick in die Register der Krankenkassen lohnt also. Schaut man nĂ€mlich, welche Krankheitsgruppen im gesamten Berufsleben am meisten ArbeitsausfĂ€lle verursachen, gibt es eine klare Top 3. Dazu zĂ€hlen psychische Störungen, Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und Atemwegserkrankungen [14]. Â
Bei Letzteren ergibt sich durch das Homeoffice ein klarer Vorteil. Denn wenn die Pandemie eines gezeigt hat, dann wie ungĂŒnstig sich volle U-Bahnen und geteilte BĂŒrorĂ€ume auf das eigene Ansteckungsrisiko auswirken. Das gilt fĂŒr Corona. Das gilt aber auch fĂŒr jeden anderen Atemwegserreger [15].
Bei den Erkrankungen des Bewegungsapparates ist es weniger offensichtlich. Das Einzige, was feststeht, ist: Menschen sind fĂŒr Bewegung geschaffen â nicht fĂŒrs Sitzen. Dabei klingt Sitzen so harmlos. Doch 8 Stunden oder mehr am Tag zu sitzen ist laut Studien genauso ungesund wie Rauchen oder starkes Ăbergewicht [16, 17].Â
RĂŒcken, Nacken und andere Gelenke leiden stark unter Fehlhaltungen und Bewegungsmangel. Das Homeoffice wird also ungesĂŒnder, wenn man zu Hause in der eigenen Couch versinkt. Wer den GroĂteil des Tages dagegen stehend oder noch besser gehend verbringt, lebt zu Hause deutlich gesĂŒnder als im BĂŒro [18-20].Â
Am eindrucksvollsten sind jedoch die Entwicklungen bei der mentalen Gesundheit. Mit Blick auf die Arbeitswelt kann man es kaum anders auslegen. âPsychische Krankheiten sind auf dem Vormarschâ [21]:
Hier gibt es viele Vermutungen zum âWarumâ. Die digitale Transformation spielt jedoch sicher eine Rolle. So können immer mehr TĂ€tigkeiten automatisiert werden. Die Anforderungen an einen Beruf Ă€ndern sich folglich. Manche Berufe verschwinden komplett. Neue entstehen. Das erhöht den Druck, sich konstant weiterzubilden und neue FĂ€higkeiten anzueignen [22-28].
FĂŒr âNew Workâ bedeutet das konkret, dass es immer weniger um monotone FleiĂleistungen gehen wird. Stattdessen gewinnen kreative EinfĂ€lle und innovative Ideen an Gewicht. Einen Arbeitstag fĂŒr 8 Stunden am StĂŒck auf einen Monitor zu starren wird also eher zum Auslaufmodell. Hier bietet das Homeoffice die FlexibilitĂ€t, die dem GroĂraumbĂŒro fehlt [11, 29, 30].Â
Bei all dem sind soziale Beziehungen als Halt extrem wichtig. Die These, dass alleine wohnen oder arbeiten automatisch zu Einsamkeit fĂŒhrt, ist jedoch in Studien widerlegt worden. Langes Pendeln zur Arbeit sorgt dagegen nachweislich fĂŒr Stress und psychische Belastung [31-33].
Das Potenzial vom Homeoffice in digitalen Zeiten ist also enorm. Erst recht, wenn die Doppelbelastung von Kinderbetreuung oder geteilten Arbeitszimmern nach Pandemie-Ende wegfÀllt [34].
Blick in die Zukunft
Bestimmte Megatrends des 21. Jahrhundert machen auch vor der âNew Workâ nicht Halt und werden diese maĂgeblich prĂ€gen. So nutzen in Deutschland mittlerweile fast 9 von 10 Menschen das Internet â die Grundvoraussetzung fĂŒr ortsunabhĂ€ngiges Arbeiten [35].
Gleichzeitig sinken die Preise fĂŒr technische GerĂ€te und Software immer weiter, wĂ€hrend Dinge wie öffentliche Verkehrsmittel und Wohnraum teurer werden. Zudem leben immer mehr Menschen in StĂ€dten. TĂ€gliches Pendeln und Staus nehmen zu. StĂ€dte als Ballungsraum kommen also an ihre Schmerzgrenze [33, 36-41].
Komplett unabhĂ€ngig vom Standort des Arbeitgebers leben zu können, wird damit zum âGamechangerâ. Und lĂ€ndliche Regionen werden wieder attraktiver â selbst bei Wechsel des Arbeitgebers. FĂŒr diesen wĂ€chst zudem der Pool an möglichen Bewerbern, die nun theoretisch ĂŒberall wohnen können.Â
Auch der fortschreitende Klimawandel dĂŒrfte das Umdenken im Arbeitsleben festigen. Denn âwĂ€re das Internet ein Land, hĂ€tte es den drittgröĂten Stromverbrauch der Erdeâ â unabhĂ€ngig von Homeoffice oder GroĂraumbĂŒro. Allerdings können mit unnötigen Fahrtwegen und effektiverer Arbeit enorme Ressourcen eingespart werden [10, 42, 43].
Und nicht zuletzt wird die digitale Transformation samt Automatisierung eher noch an Fahrt zunehmen. So entstehen etliche neue â Homeoffice-taugliche â Jobs. Allerdings werden Jobwechsel insgesamt hĂ€ufiger und letztlich normal [3, 29, 30, 44].
Auch hier kann es fĂŒr enorme Entlastung und Planungssicherheit sorgen, wenn ein regelmĂ€Ăiger Jobwechsel dann nicht automatisch mit einem Umzug verbunden ist. âNew Workâ machtâs möglich.
Und fĂŒr alle, die das Homeoffice mögen, aber sich nicht komplett vom BĂŒro verabschieden wollen, bleibt ja auch noch das âhybride Arbeitenâ als vielversprechende Option. Diese Mischung aus Homeoffice und PrĂ€senzarbeit ermöglicht vielen das beste aus beiden Welten. Das BĂŒro von frĂŒher wird so zur BegegnungsstĂ€tte von morgen [1, 8].
Die Zukunft kann also kommen.
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