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Im Gespräch zu „Long COVID”

Ein Polizist Mitte 20 erzählt von seinen Corona-Langzeitfolgen

Sein Leben hat sich um Sport gedreht

Wenn man mit Jakob spricht, ändert sich schnell die eigene Definition vom Wort „sportlich”. Für mich traf das Wort vorher auf Leute zu, die gelegentlich mal eine kleine Runde durch den Park traben und dabei noch lächeln. Für Jakob bedeutet „sportlich” etwas anderes:
“Ich hab sehr viel Sport getrieben vor der Pandemie – über die Arbeit und privat. Ich arbeite bei der Polizei in der Hundertschaft. Daher ist durch die Arbeit vorgesehen, dass wir sehr viel Sport machen. Ansonsten Veranstaltungsbetreuung.”

Beim Wort „Veranstaltungsbetreuung” denken die meisten wohl an etwas anderes. In seinem Fall handelt es sich jedoch um Großeinsätze der Berliner Hundertschaft. Wenn man in den Nachrichten erfährt, wo es am Vortag zu Ausschreitungen und Gewalt bei Massendemonstrationen gekommen ist, dann war Jakob nicht selten mit dabei. Im Einsatz für die Polizei wohlgemerkt. 

„Es sind oft sehr lange Einsatzzeiten. Da ist dann auch vorausgesetzt, dass jeder fit ist und das dann auch durchhält. Normaler Dienst geht immer zwischen 10 und 12 Stunden. Bei Großeinsätzen sind 12 Stunden aber eher das Minimum, sodass man da dann auch oft 14 Stunden schafft.”

In schwerer Montur samt Schutzhelm seinen Arbeitstag zu verbringen, ist sicher das eine. Nie zu wissen, ob die Situation noch eskaliert und dann – unter eigenem Verletzungsrisiko – auch eingreifen zu müssen, ist das andere. Körperliche Fitness allein reicht also nicht. Eine robuste Psyche samt Nerven aus Stahl gehören ohne Frage auch dazu. Jakob hatte beides. Aber damit nicht genug:

„Uns wird während der Arbeitszeit Zeit für Sport gegeben. Die Grundfitness wird vorausgesetzt, was dann auch überprüft wird. Ich hab aber zusätzlich noch sehr viel Sport gemacht. Also 4 bis 5 Mal die Woche ins Fitnessstudio gehen. Dann natürlich nebenbei immer noch Laufen abends. Und Kampfsport habe ich auch gemacht. 3 bis 4 Mal pro Woche.”

Natürlich gab es bei all dem mal Ermüdungserscheinungen. Die ein oder andere Prellung war auch mit dabei. Aber er kannte sein Limit und war auch sonst kerngesund. Krankheiten, die ihn längerfristig aus der Bahn hätten werfen können, kannte er nicht. 
6 Monate später sieht er das anders.

Eine abgebrochene Reise

Die meisten erinnern, wo sie sich zu Beginn der Corona-Pandemie aufgehalten haben. Im Fall von Jakob war es die malerische Landschaft Mittelamerikas.

„Als es hieß, jetzt wird ein Lockdown kommen, war ich gerade im Urlaub in Mexiko. Man hat über die Nachrichten mitbekommen, dass alle Leute umgehend zurück in ihre Heimatländer fliegen müssen. Manche kamen überhaupt nicht zurück. Wir aber hatten Glück.”

Seinen Jahresurlaub abrupt abzubrechen hätten die meisten wohl eher als unglücklich bezeichnet. Es ist eines von vielen Beispielen, wo sich Jakobs lebensbejahender Blick auf die Dinge zeigt.

„Ich bin mit 8 Kollegen durch Mexiko gereist. Am Ende waren 5 von uns erkrankt.”

Die ersten Symptome sind bei Jakob genau am Tag nach der Rückkehr eingetreten. Da sie nur 7 Tage in Mexiko verbrachten, geht er davon aus, dass die Ansteckung unmittelbar vor Reisebeginn stattgefunden haben muss.

Jakob hat damals viele große Demonstrationen mit etlichen Menschen betreut. Zu diesem Zeitpunkt gab es weder Abstandsregelungen noch eine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung.

„Ich bin mit 8 Kollegen durch Mexiko gereist. Am Ende waren 5 von uns erkrankt. Die anderen haben aber keine großen Symptome gezeigt. Mal leichter Husten, so ein bisschen.”

Als sie in Berlin landeten, herrschte bereits Lockdown. Alle Straßen waren leer.

Aus einem Kratzen im Hals werden 12 Kilo Gewichtsverlust

Es gibt nicht den einen Verlauf bei COVID-19. Die Krankheit hat viele Gesichter.

„Bei mir war es am Anfang mehr ein Kratzen im Hals. Da saß ich abends zu Hause und es hat angefangen wie eine ganz normale Erkältung oder Grippe. Ich dachte, legst du dich mal ins Bett und kurierst dich aus. Eine Ibuprofen noch genommen. Und am nächsten Tag dann aufgewacht mit extremen Kopf- und Gliederschmerzen, Schüttelfrost, starker Husten, extreme Schweißausbrüche sowie dauerhafte Übelkeit und Erbrechen.”

Doch damit nicht genug.

„Es ging dann auch recht schnell, dass dann der Hals zuging. Ich lag im Bett unter zich Decken, weil mir so kalt war und trotzdem war ich die ganze Zeit am Schwitzen. Aber die Kopf- und Gliederschmerzen – so was habe ich vorher noch nie erlebt. Da wusste ich, hier stimmt etwas absolut nicht mehr.”

Jakob erzählt ruhig weiter. Aber es wird kaum besser.

„Der Husten begann nach 2 bis 3 Tagen mit erst mal leichtem Husten und nach 1 Woche hatte ich dann richtig starken Husten mit grünem Auswurf. Ich habe auch durchgängig die Temperatur gemessen, aber hatte die ganze Zeit nicht einmal Fieber. Die höchste Temperatur, die ich hatte, lag bei 37 Grad.”

Die Tatsache, dass bei Jakob durchweg kein Fieber auftrat und der Husten mit reichlich Auswurf einherging, führte bei Jakob und den Ärzten dazu, erst mal von einer Grippe auszugehen. Natürlich wurde das Coronavirus diskutiert. Aber zu Beginn der Pandemie war man noch von trockenem Husten und Fieber als Schlüsselsymptomen ausgegangen.

„Bei allem standen die Kopf- und Gliederschmerzen für mich im Vordergrund, da es für mich absolut nicht möglich war, mein Bett zu verlassen und mich überhaupt zu bewegen. Ich spürte eine extreme Licht- und Geräuschempfindlichkeit. Alles hat im Kopf wehgetan. Schmerztabletten haben nicht geholfen in der Zeit. Wenn man sich zudem dann noch regelmäßig übergeben muss, war das sehr schwer, mit den extremen Schmerzen bei Bewegung zu kombinieren. Es hat wehgetan im Bett zu liegen. Es hat wehgetan, sich mit der Decke zuzudecken. Es war durchgehend eigentlich nur ein kompletter Schmerz. Es war teilweise wirklich nicht auszuhalten, da musst ich dann wirklich sehr viele Schmerztabletten nehmen, damit ich überhaupt schlafen konnte.”

Den Hausarzt kontaktierte Jakob gleich zu Beginn. Immerhin war es durch die Pandemie möglich geworden, eine Krankschreibung telefonisch zu erhalten. Sein Dienstarzt auf Arbeit wurde ebenfalls informiert. Zu diesem Zeitpunkt wurde zwar noch keine Quarantäne verordnet, Jakob wäre aber ohnehin nicht in der Lage gewesen, seine Wohnung zu verlassen.

„Ich hab alleine gewohnt. Von daher war’s mir auch gar nicht möglich, mich zu versorgen. Ich war komplett auf meine Eltern angewiesen. Ich hatte Glück, dass sie mir von Tag 1 an Essen vor die Tür gestellt haben.”

Da war er wieder: Jakobs bemerkenswerter Optimismus. 

„Ich würd sagen, ich hab einmal die Stunde erbrochen. Es war sehr, sehr schwierig, noch etwas zu trinken und Nahrung zu mir zu nehmen. Trinken ging bedingt. Aber ich konnt’s nicht lange bei mir behalten. Also ich hab wirklich sehr stark und sehr viel Gewicht verloren in der Zeit.”

Jakobs Symptome

Es war eine Grenzerfahrung

Nach 5 Wochen kompletter Isolation war Jakob erstmalig symptomfrei. Von anfangs 85 Kilogramm landet er am Ende bei 73. Durch sein hohes Sportpensum hatte er auch vorher einen geringen Körperfettanteil. Was ihm genommen wurde, war also vor allem Muskelmasse. Nach 5 Wochen schien alles überstanden. Aber wer 5 Wochen nur im Bett lag, hat auch ohne Symptome zu kämpfen. Die Isolation forderte ihn auch psychisch.

„Ich muss sagen, der Anfang des Alleinseins war gar nicht so schlimm. Da war ich sehr viel mit mir selber beschäftigt, mit der Krankheit, mit diesen starken Symptomen. Da war ich, wenn es hochkam, wirklich nur ein paar Stunden am Tag wach. Den Rest der Zeit hab ich komplett geschlafen oder gar nicht mitbekommen. Schlimm wurde es dann erst später. Die letzten Wochen waren dann natürlich sehr belastend.”

Der Mann Mitte 20, der vorher 7 Tage die Woche mit Sport verbracht hat, muss nun seinen ganzen Willen bündeln, um im Treppenhaus in den 3. Stock zu kommen. Am Ende verbrachte Jakob unglaubliche 6 Wochen alleine in seiner Wohnung. Nach 7 Wochen durfte er wieder arbeiten.

Die Monate danach: Nach COVID-19 kommt „Long COVID”

Jakob geht wieder zur Arbeit und ist heilfroh, zurück im Leben zu sein. Aber es ist nicht wie vorher. Die Atemnot bei kleineren Belastungen und das Gefühl, dass die Lunge sehr schnell am Limit ist, bleiben. 

„Ich hab’s am Anfang immer so beschrieben: Es war, als ob eine Katze auf der Brust drauf sitzt. Man hat gemerkt, da ist ein leichter Widerstand und es ist nicht möglich, so ganz einzuatmen. Und ich hab wirklich gemerkt, ich muss nach Luft schnappen teilweise.”
Seine Dienststelle zeigt volle Rücksicht und setzt ihn erst mal in einer ruhigeren Funktion ein. Jakob setzt alles daran, den Trainingsrückstand auf seine Kollegen aufzuholen. Während sich die Muskeln langsam wieder aufbauen, bleiben die Atembeschwerden.

„Da hab ich mir dann schon Gedanken gemacht: Na ja gut, vielleicht ist mit der Krankheit auch nicht zu spaßen. Und man hat ja dann doch auch schon ein paar Sachen gehört, dass die ganze Krankheit auch sehr aggressiv verlaufen kann und Langzeitschäden macht.”
Im Verlauf des Sommers ist Laufen langsam wieder möglich – wenn auch mit starken Einschränkungen.

„Da kamen dann sehr schnell Pfeifgeräusche aus meiner Lunge. Kurze Sprints oder Treppenläufe waren zwar möglich, aber mit einer so großen Belastung verbunden, dass ich anschließend sehr lange Ruhephasen brauchte. Psychisch war der Wandel von dem Extremsport früher zu dem Zustand jetzt eine sehr starke Negativerfahrung für mich.”
Im Oktober kommt dann noch ein weiterer Schock hinzu:

„2 Wochen lang hatte ich auf einmal wirklich jeden Tag diese Anfälle. Da hatte ich sehr starkes Stechen in der Brust, Krämpfe in der Lunge, Herzrasen und Schweißausbrüche. Da hab ich mir natürlich Sorgen gemacht.”

Ein erneuter Besuch beim Lungenarzt und beim Kardiologen ergeben unauffällige Untersuchungsergebnisse. Beide Ärzte wissen nicht weiter. Und damit sind sie nicht allein. Die Langzeitfolgen nach einer COVID-19-Erkrankung – auch „Long Covid” genannt – werden erst allmählich von der Wissenschaft erforscht.  

Mittlerweile ist jedoch klar: Jakobs Erlebnis als junger Mensch ist kein Einzelfall. Auch Betroffene mit anfangs milden Symptomen berichten zunehmend über später auftretende Langzeitbeschwerden.

Auch hier merkt man Jakobs unbändigen Willen und seinen stets zuversichtlichen Blick nach vorn.

„Ich denke, es ist verkehrt, mit einer Panikreaktion darauf zu reagieren.”

Wahr ist: Er liegt auch weiterhin weit unter den Leistungsanforderungen, die von ihm gefordert werden. Wahr ist aber auch: Er arbeitet sich immer weiter heran. Immerhin kann er mittlerweile schon wieder seinen alten Job ausführen. 

„Ansonsten wurde mir durch das Gesundheitsamt nahegelegt, alle Symptome immer aufzuschreiben. Deshalb konnt ich mich dann auch so gut daran erinnern und den Ärzten genau antworten.”

Auch während des Interviews überrascht Jakob immer wieder mit seiner detaillierten Schilderung.

„Und emotional hat mir vor allem die persönliche Einstellung geholfen. Ich denke, es ist verkehrt, mit einer Panikreaktion darauf zu reagieren. Damit wird es nur schlimmer. Gerade bei Beschwerden der Lunge. Ich sag jetzt auch nicht, dass man es entspannt sehen sollte. Aber zumindest, dass man das beste daraus machen muss."

Das ist Jakob wirklich beeindruckend gelungen.

Anmerkung des Autors: Jakob heißt eigentlich anders, aber möchte anonym bleiben. Sein Name wurde daher für diesen Artikel abgeändert. Alle anderen Angaben entsprechen der Realität.

Die Inhalte dieses Artikels geben den aktuellen wissenschaftlichen Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder und wurden nach bestem Wissen und Gewissen verfasst. Dennoch kann der Artikel keine medizinische Beratung und Diagnose ersetzen. Bei Fragen wenden Sie sich an Ihren Allgemeinarzt.

FAQs

Wie häufig treten gesundheitliche Langzeitfolgen bzw. Long COVID-19 auf?

Je nach Studie kommen Wissenschaftler:innen hier zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass Long COVID in Studien teils unterschiedlich definiert ist (z.B. Welche Symptome müssen wie lange vorliegen?).

Ein weiterer Unterschied ist, ob Betroffene zuvor während COVID-19 im Krankenhaus behandelt werden mussten (Langzeitfolgen bei 37,6 %) oder ob zuvor keine bzw. nur milde Symptome bestanden. Bei Letzterem liegen die Schätzungen für Long COVID im Bereich von 7,5 % und 41 %.
Quelle: RKI

Welche Rolle spielt „Pacing“ bei COVID-19 und Long COVID?

Der Begriff „Pacing” beschreibt ein Verhalten, bei dem man mit den vorhandenen Kräften haushaltet. Um im Alltag bestmöglich zurechtzukommen, kann es also sinnvoll sein, seine Kräfte sparsam einzusetzen. So können viele Menschen die wichtigsten Alltagserfordernisse noch in „kleine Häppchen verteilt” bewältigen, ohne unter einem zu großen Kraftakt vorübergehend zu kollabieren. 

Wieviel Belastung sinnvoll ist und welches Symptom wie behandelt wird, sollte jedoch unbedingt mit den behandelnden Ärzt:innen besprochen werden. Dies hängt nämlich stark vom Einzelfall ab.

Quellen: NHS und UpToDate


Wie gut gesichert ist das aktuelle Wissen über die gesundheitlichen Langzeitfolgen von COVID-19?

Auf diesem Gebiet tut sich aktuell viel. Dennoch sind alle Studienergebnisse momentan nur vorläufig. Eine der größten Schwierigkeiten bei der genauen Erforschung liegt in der Natur des Krankheitsbildes begründet. So sind häufige Long-COVID-Symptome wie Abgeschlagenheit und gedrückte Stimmung relativ unspezifisch – können also auch bei vielen anderen Krankheitsbildern auftreten.

In Studien werden zudem teils sehr unterschiedliche Nachbeobachtungszeiträume berücksichtigt. Eine Studiengruppe, die ihre Teilnehmer:innen für 3 Monate nachbeobachtet, kommt also mitunter zu anderen Schlüssen, als wenn ein späterer Zeitpunkt untersucht wird.
Quellen: RKI

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