Klinische Studien im Profil
FĂŒr jede Forschungsfrage braucht es die richtige Studie
Im Alltag begegnen wir nur dem âEndproduktâ: Denn wenn Ărzt:innen eine Diagnose stellen oder ein bestimmtes Medikament verschreiben, bleibt der Weg zu dieser Entscheidung meist versteckt. Auf RĂŒckfrage gibt es vielleicht noch ein âSie erfĂŒllen nun mal alle Diagnosekriterienâ oder âDie Leitlinien empfehlen dies bei Patient:innen wie Ihnenâ. All das mag stimmen. Doch die HintergrĂŒnde liegen tiefer. Nur dank hochwertiger klinischer Studien ist es Ărzt:innen möglich, medizinische Entscheidungen auf Grundlage der aktuellen Forschung zu treffen. Durch klinische Studien kriegen Menschen die Behandlung, die wirklich hilft.Â
1. Was sind klinische Studien?
Bis neue Medikamente oder Behandlungsmethoden auf den Markt kommen, muss einiges geschehen. SchlieĂlich muss der Nutzen einer medizinischen MaĂnahme ĂŒberhaupt erst bewiesen werden. Auf diesem weiten Weg bilden klinische Studien gewissermaĂen den Ăbergang von der Grundlagenforschung zum Versorgungsalltag in  Praxen und KrankenhĂ€usern [1].
Nur weil beispielsweise ein Laborexperiment oder Tierversuch vielversprechende Ergebnisse geliefert hat, heiĂt dies noch lange nicht, dass ein Wirkstoff auch bei Menschen effektiv und sicher ist. Zudem wĂŒrde die Zulassung auch nur Sinn ergeben, wenn der Wirkstoff bereits existierenden PrĂ€paraten ĂŒberlegen oder zumindest ebenbĂŒrtig ist [1].
Auch muss bereits vor der DurchfĂŒhrung einer klinischen Studie belegt worden sein, dass die Teilnehmenden keinem nennenswerten Gesundheitsrisiko ausgesetzt werden. DurchfĂŒhrungsort können Kliniken, Krankenhausambulanzen und seltener Ă€rztliche Praxen sein. Oftmals sind klinische Studien jedoch so groĂ, dass sie gemeinsam von zahlreichen Kliniken in einem âStudiennetzwerkâ durchgefĂŒhrt werden [1].
Dabei werden klinische Studien entweder von forschenden Pharmaunternehmen oder von Forschenden an öffentlichen Einrichtungen in die Wege geleitet. Hierbei geht es meist um die Wirksamkeit und Sicherheit von neuen Behandlungsmethoden wie Medikamenten oder operativen Eingriffen. Es sind aber auch andere Fragestellungen wie die Wirksamkeit von PrĂ€ventionsmaĂnahmen möglich [1].
Von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung einer Studie in einem wissenschaftlichen Journal mĂŒssen Forschende eine Vielzahl an HĂŒrden ĂŒberwinden:
2. Welche Arten von klinischen Studien gibt es
Letztlich gibt es verschiedene Arten von klinischen Studien, die alle unterschiedliche Vor- und Nachteile haben. Sie werden grob in interventionelle (MaĂnahmen ergreifende) Studien und nicht-interventionelle (nur beobachtende) Studien unterteilt [2].
Allen gemein ist jedoch, dass sie immer eine klar definierte Studienpopulation und ein zu untersuchendes Behandlungsziel haben. Dies könnte zum Beispiel die LebensqualitÀt (=Behandlungsziel) bei Darmkrebspatient:innen (=Studienpopulation) sein [3].
2.1. Randomisierte kontrollierte Studien (RCTs)
Hierbei handelt es sich um eine interventionelle Studie, bei der die Teilnehmenden ârandomisiertâ werden, das heiĂt, nach dem Zufallsprinzip entweder einer Behandlungs- oder aber einer Kontrollgruppe zugeteilt werden. Diese Art der Studie ist der Goldstandard, wenn es darum geht, die EffektivitĂ€t einer neuen Behandlungsmethode zu prĂŒfen [3].
Beim Beispiel Darmkrebs könnte das so aussehen: Ein Pharmaunternehmen möchte eine neue Chemotherapie auf den Markt bringen und konnte bereits die Sicherheit des PrĂ€parates nachweisen. Nun bleibt die Frage, ob das PrĂ€parat auch einen Nutzen erbringt [4].Â
In diesem Fall wĂŒrde die Studienpopulation aus Darmkrebspatient:innen bestehen. Also Menschen mit Darmkrebs, die im Rahmen ihrer Behandlung freiwillig einer Studienteilnahme zugestimmt haben. Daraufhin wĂŒrde die HĂ€lfte der Teilnehmenden der âInterventionsgruppeâ zugeteilt werden. Diese erhalten das zu testende PrĂ€parat. Die andere HĂ€lfte wĂŒrde dagegen als âKontrollgruppeâ fungieren und ein Placebo erhalten [2, 4].Â
Wichtig ist dabei, dass weder die Teilnehmenden, noch die Ărzt:innen wissen, zu welcher Gruppe die jeweilige Person gehört. Dieses Prinzip nennt sich âdoppelte Verblindungâ und verhindert eine Verzerrung der Studienergebnisse [2, 4, 5].
Nachteile dieser Studienart können die hohen Kosten, ein erheblicher Zeitaufwand sowie das ethische Problem sein, mitunter schwer kranke Menschen mit einem Placebo zu behandeln. Auch kann ein Verzerrungseffekt entstehen, wenn sich nur bestimmte Patient:innengruppen fĂŒr diese Art der Studie bereit erklĂ€ren â zum Beispiel Menschen, bei denen keine andere Therapie geholfen hat [3].Â
Neben Medikamenten oder Operationsverfahren können mit dieser Art Studie auch Medizinprodukte, Impfstoffe, Physiotherapien, Akupunktur, psychosoziale oder rehabilitative MaĂnahmen sowie Schulungen oder DiĂ€ten untersucht werden. Allerdings ist die doppelte Verblindung hier nicht immer möglich [5].Â
2.2. Kohortenstudien
In Kohortenstudien werden Menschen regelmĂ€Ăig ĂŒber Jahre hinweg daraufhin beobachtet, ob bei ihnen eine bestimmte Erkrankung auftritt. Dabei werden mindestens zwei Gruppen miteinander verglichen, wobei zumindest bei einer Gruppe eine bestimmte Exposition stattgefunden haben muss [2, 4, 5].
Bei einer Gruppe kann es sich beispielsweise um Raucher:innen handeln, wĂ€hrend die Vergleichsgruppe Nicht-Raucher:innen wĂ€ren. Oder eine Gruppe kam beruflich mit giftigen Substanzen in Kontakt, wĂ€hrend die andere davon verschont blieb [4, 5].Â
Zu Beginn einer Kohortenstudie können die Teilnehmenden also durchaus noch gesund sein. Die Forschenden verfolgen dann, bei welchen Personen im Verlauf Gesundheitsprobleme auftreten. Diese Vorgehensweise nennt sich âprospektive Kohortenstudieâ [4].
Zwar ist die von den Forschenden erwartete Krankheit hier noch nicht aufgetreten, jedoch kann sie bereits im Vorfeld klar definiert werden. Bei den Raucher:innen wĂ€re das zum Beispiel Lungenkrebs [4].Â
Jedoch können Kohortenstudien auch âretrospektivâ durchgefĂŒhrt werden. Hierbei wĂŒrde die Erkrankung bereits vorliegen und die Forschenden wĂŒrden nun in der Krankengeschichte nach möglichen Risikofaktoren (Expositionen) suchen [4, 5].
Kohortenstudien sind also besonders nĂŒtzlich, um herauszufinden, wie hĂ€ufig eine bestimmte Erkrankung ist und welche Faktoren das Auftreten beeinflussen. Auch ist diese Studienart ethisch unverfĂ€nglicher und teils gĂŒnstiger durchzufĂŒhren als RCTs. Es findet schlieĂlich keine Intervention statt. Klare Nachteile sind jedoch die fehlende Randomisierung und die erschwerte Verblindung [3, 4, 5].
2.3. Fall-Kontroll-Studien
Fall-Kontroll-Studien sind stets retrospektiv. In dieser Studienart werden Menschen mit einer bestimmten Erkrankung mit Menschen ohne diese Erkrankung verglichen. Jedoch sollten sich beide Gruppen ansonsten möglichst Ă€hneln. Daraufhin werden beide Gruppen in einem Interview oder mit Hilfe ihrer Krankenakten rĂŒckblickend verglichen, um mögliche Risikofaktoren fĂŒr die Erkrankung ausmachen zu können [4, 5].Â
Bei Fall-Kontroll-Studien ist der mögliche Faktor dabei noch unklar, wohingegen in der retrospektiven Kohortenstudie von einem bestimmten Faktor ausgegangen wird [6].
Zu den Vorteilen zĂ€hlt kostengĂŒnstige und schnelle DurchfĂŒhrung, denn auch hier ist keine Intervention nötig. Fall-Kontroll-Studien kommen hĂ€ufig bei der Erforschung seltener Erkrankungen zum Zuge, da sie teils mit weniger Teilnehmenden auskommen [3, 4].Â
Allerdings hĂ€ngen die Forschenden oftmals stark von dem Erinnerungsvermögen der Studienteilnehmenden oder der QualitĂ€t der Krankenakten ab. Auch kann die Auswahl einer passenden Kontrollgruppe schwer fallen oder Raum fĂŒr Verzerrungen bieten [3, 4].
Randomisierte kontrollierte Studie (RCT) | Prospektive Kohortenstudie | Fall-Kontroll-Studie | |
---|---|---|---|
Einteilung und Studienverlauf | - Interventionsstudie - Prospektiv | - Beobachtungsstudie - Prospektiv | - Beobachtungsstudie - Retrospektiv |
Beschreibung | - Randomisiert:Â | - Kohorte: | - FĂ€lle: â Personen mit der zu untersuchenden Erkrankung Kontrollen: â Personen ohne diese Erkrankung |
Welche Gruppen werden verglichen? | - Vergleich von Interventions- und Kontrollgruppen | - Vergleich von Exponierten- und Nicht-Exponierten | - Vergleich von FĂ€llen (Patient:innen mit Erkrankung) und Kontrollen (Patient:innen ohne Erkrankung) |
Gruppenaufteilung | - Randomisierung: â per Zufall | - Aufteilung nach Risikofaktoren zu Beginn der Studie | - Aufteilung nach Vorliegen der Erkrankung zu Beginn der Studie |
2.4. Querschnittsstudien
Querschnittsstudien sind Momentaufnahmen. Sie befassen sich mit HÀufigkeit und Verteilung einer Krankheit oder einer bestimmten Exposition in der Bevölkerung. Die Studienfrage könnte zum Beispiel lauten: Wie hÀufig ist Darmkrebs in Deutschland und wie viele Betroffene sind zur Krebsvorsorge gegangen? [2, 3, 4]
Der Klassiker unter den Querschnittsstudien ist dabei die Umfrage. Dabei sollten die Teilnehmenden zufĂ€llig ausgewĂ€hlt werden und reprĂ€sentativ fĂŒr die Gesamtbevölkerung sein. Ihre Charakteristika sollten sich also nicht wesentlich von der restlichen Gesellschaft unterscheiden. Neben einer Befragung kann es sich ebenso um eine Untersuchung handeln [4].Â
Da die Daten nur einmalig erfasst werden, sind Querschnittsstudien recht kostengĂŒnstig und schnell durchfĂŒhrbar. Mit ihnen lassen sich gut beschreibende Aussagen ĂŒber das Vorkommen von Erkrankungen treffen. Jedoch liefern sie keinen Aufschluss ĂŒber die zugrundeliegenden Ursachen [3, 4].
2.5. Qualitative Studien
Qualitative Studien beruhen im Gegensatz zu den anderen Studientypen nicht auf Zahlen oder Daten. Stattdessen werden generelle Informationen gesammelt, die oftmals einen orientierenden Einstieg in ein Thema ermöglichen [4].
Die Informationen können im GesprÀch mit Betroffenen oder Angehörigen gewonnen werden als auch auf Dokumenten und Beobachtungen beruhen. Es kann dabei zum Beispiel um die Frage gehen, wie es ist, mit einer bestimmten Erkrankung zu leben [4].
Wichtig hervorzuheben ist, dass diese Studien keine statistischen Aussagen zulassen und letztlich keinerlei wissenschaftlichen Beweis liefern.
3. Klinische Studien: Welche Daten fehlen?
Klinische Studien sind das aktuell beste Instrument, um in der Medizin einen Sachverhalt nachzuweisen. Sie können also helfen, bestimmte Fragestellungen zu beantworten. Dies gelingt jedoch nur, wenn fĂŒr die zu untersuchende Frage das richtige Studiendesign gewĂ€hlt worden ist [4].Â
Denn DurchfĂŒhrung und statistische Auswertung können noch so gewissenhaft sein: Passt die gewĂ€hlte Studienart nicht zur Fragestellung, nĂŒtzen die Ergebnisse wenig. Die verschiedenen Studien ergĂ€nzen sich also und bilden so gemeinsam ein Gesamtbild [5].Â
Dennoch decken auch alle sich ergÀnzenden klinischen Studien nur einen Bruchteil unserer RealitÀt ab:
Denn viele Daten aus dem alltĂ€glichen Leben von Menschen werden in medizinischen Studien nicht berĂŒcksichtigt oder werden schlicht zu selten erfasst. Dabei haben Dinge wie Schlaf, Bewegung, ErnĂ€hrung und Konsumverhalten im Alltag einen wesentlichen Einfluss auf unsere langfristige Gesundheit.
Doch auch hier tut sich etwas: Nicht nur, dass all diese Daten in der digitalen Welt zunehmend anfallen. Mit Hilfe von Wearables und digitalen Speicherorten können sie kĂŒnftig wesentlich leichter mit Wissenschaftler:innen geteilt werden. Damit werden diese Gesundheitsdaten zunehmend zu einer wertvollen ErgĂ€nzung zu den weiterhin wichtigen klinischen Studien [7].
Dennoch bleibt noch viel zu tun. Denn groĂe Datenmengen fĂŒhren nicht automatisch zu statistisch zuverlĂ€ssigen Ergebnissen. Und auch im Umgang mit den bewĂ€hrten klinischen Studien gibt es groĂe Herausforderungen:
4. Herausforderungen in der klinischen Forschung
4.1. Replikationskrise in der Forschung: Was tun?
Eine der gröĂten Herausforderungen in der medizinischen Forschung ist derzeit, dass wissenschaftliche Journale daran interessiert sind, ĂŒberwiegend neue, am besten bahnbrechende Erkenntnisse zu veröffentlichen. Das liegt in der Natur der Sache und ist erstmal nicht verwunderlich.
Jedoch fĂŒhrte dieser Umstand in der Vergangenheit zu einer âgefĂ€rbtenâ Veröffentlichungsquote. Studien mit neuen, statistisch signifikanten Ergebnissen wurden eher veröffentlicht als Studien, in denen zum Beispiel ein Zusammenhang widerlegt oder nur der Status quo bestĂ€tigt werden konnte. Auch wurden manche Medikamentenstudien gar nicht erst eingereicht, wenn der gewĂŒnschte Effekt des Medikaments darin nicht gezeigt werden konnte [8, 9, 10].
Wissenschaftler:innen, die beruflich vorankommen wollen, sind jedoch auf eine Mindestzahl an Publikationen angewiesen. Ein echtes Dilemma, was dazu fĂŒhrte, dass jede Menge Studien mit spannenden Ergebnissen veröffentlicht wurden â die jedoch in Folgestudien schlicht nicht bestĂ€tigt werden konnten. Dies wird in Fachkreisen auch als âReplikationskriseâ bezeichnet [8, 9].
Doch hier wird mittlerweile gegengesteuert. Wichtige Institutionen wie das Institut fĂŒr QualitĂ€t und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) setzten sich aktiv dafĂŒr ein, dass âdie Ergebnisse aller klinischen Studien verpflichtend registriert und publiziert werdenâ [10, 11].
4.2. Sich widersprechende Studien: Evidenzklassen helfen
Auch sollte eine einzelne Studie nie als alleiniger Beweis fĂŒr einen Sachverhalt gewertet werden. Hier hilft es sich klar zu machen, dass es bestimmte âEvidenzklassenâ gibt, nach denen die Wertigkeit einer wissenschaftlichen Aussage beurteilt werden kann [12, 13]:
Wenn also jemand sagt, âich habe da neulich eine Studie gelesenâ, ist dies stets mit Vorsicht zu genieĂen. Wichtig wĂ€re zunĂ€chst, um welche Art von Studie es sich handelt, welchen GĂŒtekriterien sie entspricht und ob sich die Ergebnisse mit anderen Publikationen decken [12, 13].
Bei allen Schwierigkeiten ist diese Herangehensweise eine der gröĂten Errungenschaften in Medizin sowie Wissenschaft und verhindert eine falsche Gewichtung von Einzelmeinungen oder âAusreiĂerstudienâ [12, 13].
5. Warum eine Studienteilnahme lohnt
Wisschenschaft und klinische Studien sind das Beste, was die Menschheit hat, um den medizinischen Erkenntnisgewinn systematisch voranzubringen. Allein ein kurzer Blick auf die Gesundheitsversorgung frĂŒherer Generationen reicht, um die beeindruckenden Fortschritte in Medizin und Forschung nachzuvollziehen.Â
Bei all dem ist die aufeinander aufbauende Leistung der Wissenschaftler:innen jedoch nur die halbe Wahrheit. Denn ohne die Bereitschaft von Menschen, an Studien teilzunehmen und sich so aktiv in die Forschung einzubringen, wÀre all dies unmöglich.
Jeder Mensch ist irgendwann auf gute Medizin angewiesen. SpĂ€testens im Alter. Genauso kann jeder Menschen einen kleinen Beitrag leisten, die Forschung bis dahin fĂŒr sich und andere voranzubringen.Â
Und dank digitaler Lösungen wird all dies immer einfacher. Egal, ob es um eine Studienteilnahme per App, das Speichern von Gesundheitsunterlagen oder eine Datenspende an die Forschung geht.