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Was sind Medizinprodukte und wie gliedern sich digitale Lösungen darin ein?

Medizinprodukte und digitale Lösungen

Was sind Medizinprodukte und wie gliedern sich digitale Lösungen darin ein?

Medizinischen Apps wird großes Potenzial eingeräumt, die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern [1]. Doch was genau sind medizinische Apps eigentlich und wie können sie helfen? Medizinische Apps sind Anwendungen für mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablets, die medizinisches Personal oder PatientInnen zum Beispiel bei der Diagnose, Therapie oder Überwachung von Krankheiten oder Verletzungen unterstützen” [2].  

Was versteht man unter Medizinprodukten nach dem MPG?

Ob ein Produkt ein Medizinprodukt ist, bestimmt sich nach § 3 Abs. 1 Medizinproduktegesetz (MPG). Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erläutert, dass Medizinprodukte als Produkte mit medizinischer Zweckbestimmung vom Hersteller für die Anwendung beim Menschen bestimmt seien, deren Hauptwirkung nicht pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch sei [3]. Der Zweck des Medizinproduktegesetz (MPG) ist es zu verhindern, dass Bürger durch die Anwendung an oder in ihrem Körper zu Schaden kommen [4].  Nach dem MPG werden Medizinprodukte je nach körperlicher Eingriffstiefe (Invasivität) und Anwendungsrisiko in 4 Risikoklassen eingeteilt. Das heißt: Produkte mit einem geringen Risiko und einer geringen Invasivität fallen in die niedrigen Risikoklassen I oder IIa. Produkte, deren Anwendung mit einem hohen Risiko und einem hohen Invasivitätsgrad verbunden sind, sind in die höheren Risikoklassen IIb oder III einzuteilen. Die Einteilung der Risikoklassen soll hier eingehender betrachtet werden und mit Beispielen veranschaulicht werden (siehe u.a. [5] und [6]):
  • So handelt es sich bei Medizinprodukten der Klasse I um Produkte wie Lesebrillen, Rollstühle, Stethoskope, Mundspatel, aber auch um viele Verbandmittel.
  • Medizinprodukte der Klasse IIa sind u.a. Produkte wie externe Hörgeräte, Kontaktlinsen oder Kanülen. 
  • Zur höheren Klasse IIb werden einerseits invasive Geräte zur längerfristigen Einbringung in den Körper wie Venenkatheter und Infusionspumpen gezählt. Andererseits werden auch Röntgengeräte, Blutbeutel und, für einige überraschend, Kondome, also nicht implantierbare Produkte zur Empfängnisverhütung und zum Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten, in die höhere Risikoklasse eingestuft.
  • Schließlich gehören zur Hochrisikoklasse III z.B. chirurgische Instrumente, die an lebenswichtigen Organen wie dem Herzen eingesetzt werden wie Herzkatheter, Herzklappen oder künstliche Hüftgelenke. 

Digitale Lösungen als Medizinprodukte

Digitale Anwendungen im Gesundheitsbereich können sich auf die Gesundheit der Anwender auswirken. So gibt es z.B. Diabetes-Apps, die die Menge des benötigten Korrekturinsulins berechnen. Bei solch einer Empfehlung der App an den PatientInnen ist es sehr wichtig, dass diese medizinisch richtig ist. Eine zu hohe Menge an Insulin kann zu einer lebensbedrohlichen Unterzuckerung führen. Folglich ist es aus Sicht der Verbraucher und Patienten wichtig, dass Apps im Gesundheitsbereich vertraut werden kann. Um die Sicherheit von Apps im Gesundheitsbereich zu gewährleisten, gibt es das Medizinproduktegesetz. Betrachtet man die potentielle Wirkung beispielsweise einer falschen Änderung der Medikamentendosis, verwundert es nicht, dass digitale Softwarelösungen als Medizinprodukte eingestuft werden können und damit denselben strengen Prüf- und Zertifizierungspflichten wie analoge Medizinprodukte unterliegen. Wenn eine App die Medizinprodukteigenschaft erfüllt, stellt sich die Frage, in welche Risikoklasse die App einzuordnen ist. Da es bislang keine eigene Klassifizierungsregel für Software gab, gestaltete sich die Einteilung nicht immer einfach. Das ändert sich nun mit der europäischen Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, kurz: MDR), die ab Mai 2021 gelten wird.

Wie ist Software als Medizinprodukt nach der MDR zu klassifizieren?

Im Zuge der Reform des Medizinprodukterechts wurde in der MDR eine eigene Klassifizierungsregel für Software geschaffen. Danach gilt Folgendes:
  • Klasse IIa: Hier handelt es sich um Software, die Informationen bereitstellt auf deren Grundlage Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke getroffen werden.
  • Klasse IIb: Wie Klasse IIa, wobei die Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke Auswirkungen haben, die eine schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands einer Person oder einen chirurgischen Eingriff verursachen können.
  • Klasse III: Wie IIa, wobei die Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke Auswirkungen haben, die den Tod oder eine irreversible Verschlechterung des Gesundheitszustands einer Person verursachen können.
  • Sämtliche andere Software fällt in die Klasse I.
Das MPG wird im Mai 2021 durch das Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG) für alle Produkte im Anwendungsbereich der neuen europäischen Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, kurz: MDR) abgelöst. 

Wie wird sichergestellt, dass Medizinprodukte sicher sind?

Medizinprodukte mit medizinischer Zweckbestimmung können sich auf den AnwenderIn gesundheitsgefährdend auswirken, z.B. im Falle von Fehlfunktionen des Medizinprodukts. Deshalb können sie nur unter Beachtung der geltenden medizinprodukterechtlichen Anforderungen in Verkehr gebracht werden. Während es in den USA eine eigene Institution gibt, um Medizinprodukte zuzulassen und deren Inverkehrbringen zu kontrollieren, erklären in Europa die Hersteller die Konformität ihrer Produkte selbst. Je nach Risikoklasse (Medizinprodukte der Klasse IIa und höher) hat der Hersteller eine sogenannte Benannte Stelle in das durchzuführende Konformitätsbewertungsverfahren einzubeziehen, die Prüfungen und Zertifizierungen vornimmt. Solche Benannten Stellen (wie z.B. der TÜV Süd) werden von der Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) benannt [7].Um auf dem europäischen Binnenmarkt Medizinprodukte anzubieten oder in Betrieb zu nehmen, müssen diese mit einer CE-Kennzeichnung versehen werden. Während Hersteller für Medizinprodukte der niedrigsten Risikoklasse I die Konformität mit den geltenden medizinprodukterechtlichen Anforderungen selbst erklären, wird der Hersteller von Medizinprodukten der Risikoklasse IIa bis III vor höhere Anforderungen gestellt. So muss dieser in das Konformitätsbewertungsverfahren eine Benannte Stelle einbeziehen, die die technische Dokumentation überprüft, das implementierte Qualitätsmanagement zertifiziert und überwacht sowie unangekündigte Audits durchführt. Die Genehmigung von klinischen Prüfungen obliegt dem BfArM.

Wie kann eine medizinische App aussehen? Digitales Diabetesmanagement als Beispiel

Am Beispiel von Diabetes lässt sich gut beschreiben, wie medizinische Apps die Gesundheit von PatientInnen unterstützen können. Diabetes ist mit 7 Millionen Betroffenen und mehr als 500.000 Neuerkrankungen pro Jahr eine der am weitesten verbreiteten Krankheiten in Deutschland [8]. Etwa 5% aller DiabetikerInnen leiden an Typ 1 Diabetes [9]. Diese Personen sind lebenslang auf künstlich hergestelltes Ersatzinsulin in Form von täglichen Spritzen angewiesen. Für diesen Zweck muss ihr Blutzucker mehrmals täglich kontrolliert werden, um gegebenenfalls eine Korrektur der Insulingabe vorzunehmen. 

Es gibt über 400 Apps, die Menschen mit Diabetes Typ 1 unterstützen wollen [10]. Gängig sind Apps mit Tagebuchfunktion für DiabetikerInnen mit der Möglichkeit den Blutzucker, die Aufnahme von Kohlenhydraten, Insulingaben, Medikamente, sportliche Aktivität oder Stress zu dokumentieren. Eine kleine Auswahl der 400 Apps sind: One Drop [11], Glooko/diasend® [12] und mySugr [13]. Des Weiteren bieten die Apps oft eine Visualisierung der Daten im Zeitverlauf. Die Tages-, Wochen- und Monatsauswertungen des Blutzuckerspiegels und die intelligente Anzeige möglicher Einflußfaktoren z.B. der aufgenommenen Kohlenhydrate in Verbindung mit körperlicher Aktivität soll Patienten beim umfassenden und konsequenten (digitalen) Diabetesmanagement helfen, um Komplikationen und Spätfolgen zu verhindern [14]. 

Auf Diabetes spezialisierte Apps unterstützen bei folgenden Aufgaben

  1. Digitale Datenerfassung: Mussten früher die Blutzuckerwerte dreimal täglich per Hand aufgeschrieben werden, übernimmt das nun eine App. Parallel musste die Kalorienzufuhr in Broteinheiten berechnet und entsprechend Insulin zugeführt werden. Weitere Einflußfaktoren wie sportliche Aktivität, Stress und Schlaf, nächtliche Unterzuckerungen oder zu hohe Blutzuckerwerte wurden ebenso dokumentiert, um dann vierteljährlich mit DiabetesberaterInnen oder dem Facharzt/Fachärztin auf Ursachenforschung zu gehen. 
  2. Daten dem eigenen Behandlungsteam für eine bessere Behandlung zur Verfügung stellen: Die gesamten Daten können dem Diabetesteam teilweise in Echtzeit zur Verfügung gestellt und von diesem ausgewertet werden. Dies ist eine Erleichterung für die PatientInnen sowie eine deutliche Verbesserung der Datenqualität und damit der Therapie.  
  3. Automatische Berechnung der Insulinzufuhr: Insbesondere für neu diagnostizierte DiabetikerInnen, Kinder und Jugendliche ist die Berechnung der Insulingabe oft schwierig. Einige Apps wie z.B. mySugr bieten zusätzlich die Berechnung der notwendigen Insulingabe in Abhängigkeit der Kalorienzufuhr an. 

Einsatzbereiche von Apps im Gesundheitsbereich

Am Beispiel der konkreten Vorteile der App-Nutzung für DiabetikerInnen lassen sich auch allgemeine Vorteile von Apps für für die NutzerInnen ableiten:
  1. Apps können PatientInnen bei der Dokumentation ihrer Symptome und relevanter Fakten helfen. 
  2. Mithilfe von Apps können Daten mit mit medizinischem Personal geteilt werden und somit können Apps dabei helfen, die Behandlung zu verbessern. 
  3. Apps können auf Grundlage der Daten Handlungsempfehlungen geben oder auch eine Diagnose stellen. Beispielsweise könnte eine App basierend auf Daten einer Smartwatch bei unregelmäßigen Herzschlägen eine Warnung an den Nutzer oder einen Arzt senden.
  4. Die gesammelten Daten können von der Forschung genutzt werden, um Krankheiten besser zu verstehen und neue Therapien zu entwickeln.
Nicht jede App, die im Zusammenhang mit der Gesundheitspflege genutzt wird, ist allerdings automatisch ein Medizinprodukt. Ob eine Gesundheits-App als Medizinprodukt einzuordnen ist, hängt davon ab, ob sie unter die Medizinprodukt-Definition fällt (s.o.). Hier kommt es häufig darauf an, welchen Zweck der App-Hersteller seiner App beimisst. Der Hersteller kann auf diese Weise durchaus Einfluss darauf nehmen, ob seine App ein Medizinprodukt sein soll oder nicht. Soll eine App beispielsweise ausschließlich  zur Dokumentation von Symptomen verwendet werden, ohne dass dabei diese Symptome ausgewertet werden, handelt es sich hierbei nicht um ein Medizinprodukt, da es sich beim Dokumentationszweck um einen nicht-medizinischen Zweck handelt. Eine App, die kein Medizinprodukt darstellt, ist z.B das Symptom-Tagebuch von Data4Life [15]. Dabei handelt es sich um eine zeitgemäße digitale Alternative zu einem klassischen Gesundheitstagebuch. Misst der Hersteller seiner Gesundheits-App hingegen medizinische Zwecke (z.B. eine Diagnose oder die Behandlung von Erkrankungen) bei, könnte die App als Medizinprodukt einzuordnen sein. Eine Unterscheidungshilfe, ob es sich bei einer App um ein Medizinprodukt oder um eine Wellnessanwendung handelt, bietet BfArM [16].

Wie erkenne ich ein Medizinprodukt? Worauf ist zu achten?

Bei Medizinprodukten sollten EndanwenderInnen unbedingt nach Nachweisen einer Zertifizierung suchen. Hier ist die CE-Kennzeichnung ein guter Anhaltspunkt für die Sicherheit, Zuverlässigkeit und “lückenlose Konformität mit den gesetzlichen Bestimmungen” [17]. Auch die oben beschriebene Beispiel-App mySugr trägt diese europäische Kennzeichnung. Bei der App mySugr ist zum Beispiel der Insulinrechner (Bolusrechner) ein Medizinprodukt der Klasse IIb. Die App insgesamt ist als Medizinprodukt der Klasse I zugelassen [18].  Die CE-Kennzeichnung bestätigt die Konformität des Produkts mit den geltenden medizinprodukterechtlichen Vorschriften. Der Hersteller hat dazu ein Konformitätsbewertungsverfahren zu durchlaufen und - außer bei Medizinprodukten der niedrigsten Risikoklasse I - eine sogenannte Benannte Stelle einzubeziehen. Da CE-Kennzeichen bei digitalen Anwendungen nicht wie auf analogen Geräten angebracht werden können, sind auf den Produktwebseiten (z.B. in den FAQs) Informationen hierzu hinterlegt.Weiterhin ist für die Hersteller die ISO 13485 ein richtungsweisender Standard für analoge wie auch digitale Medizinprodukte und deren besonderes Qualitätsmanagement [19]. Einige Hersteller verweisen auch dezidiert auf die Einhaltung der IEC 62304. Dies ist eine europäisch harmonisierte Norm für Medizingeräte-Software. Sie “stellt Mindestanforderungen an die wichtigsten Software-Lebenszyklus-Prozesse, konkret an die Software-Entwicklung, die Software-Wartung, an das Software-Risikomanagement (inkl. Verweis auf die ISO 14971), und das Software-Konfigurationsmanagement und die Problemlösung bei Software” [20].Zudem gilt es bei digitalen Produkten, auch die Datensicherheit im Blick zu behalten, denn bei vielen Krankheiten/Diagnosen ist es nicht erwünscht, dass Informationen an die Öffentlichkeit gelangen. Hier bietet eine Zertifizierung durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) eine Orientierung [21].

Fazit

Digitale Anwendungen haben das Potential, unseren Umgang mit Erkrankungen nachhaltig zu verändern. Sie können gesundheitsbezogene Daten digital erfassen und auch auch selber medizinische Empfehlungen geben. Dies kann den Alltag von PatientInnen und medizinischem Personal gleichermaßen erleichtern. Um die strengen Anforderungen an die Sicherheit zu genügen, müssen Gesundheits-Apps, die als Medizinprodukt einzuordnen sind, zertifiziert werden. Nach den medizinprodukterechtlichen Bestimmung werden Medizinprodukte in Risikoklassen eingeteilt. Patienten und Nutzer sollten bei der Verwendung digitaler Anwendungen darauf achten, ob die Anwendung mit einem CE-Kennzeichen versehen ist. Neben der medizinischen Sicherheit spielt auch der Datenschutz eine Rolle, da personenbezogene medizinische Daten sehr sensibel sind. 

Die Inhalte dieses Artikels geben den aktuellen wissenschaftlichen Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder und wurden nach bestem Wissen und Gewissen verfasst. Dennoch kann der Artikel keine medizinische Beratung und Diagnose ersetzen. Bei Fragen wenden Sie sich an Ihren Allgemeinarzt.

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