Direkt zum Inhalt

Smartphones und Wearables in der Pandemie und ihr Einfluss auf die Epidemiologie von Infektionskrankheiten

Contact Tracing – Infektionskrankheiten auf der Spur

1. Begriffsklärung: Der Unterschied zwischen Pandemie und Epidemie

Bei beiden Begriffen geht es um das vermehrte Auftreten von Infektionen (Krankheitsfällen) in einer Population (Gruppe) von Menschen.Bei der Epidemie sind die Krankheitsfälle örtlich und zeitlich begrenzt. Man würde zum Beispiel von einer Epidemie sprechen, wenn in Berlin-Kreuzberg vermehrte Fälle von Keuchhusten auftreten, zugleich aber in anderen Berliner Stadtteilen, sowie im Rest von Deutschland keine solche Häufung beobachtet wird.Im Gegensatz zur Epidemie handelt es sich bei der Pandemie um ein Ereignis, das nicht auf eine bestimmte Region oder Zeit beschränkt ist. Als Beispiel für eine Pandemie kann die aktuelle Häufung von Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) betrachtet werden. Gestartet ist die Infektionskette als Epidemie in Wuhan in China und hat sich dann zu einer globalen Pandemie entwickelt. Es handelt sich also um eine Pandemie, wenn Krankheitsfälle nicht mehr zeitlich und örtlich begrenzt werden können.

2. Contact Tracing im Kampf gegen Infektionskrankheiten

Um ein Infektionsgeschehen zu verlangsamen – man spricht hier von Unterbrechung der Übertragungsketten – ist es wichtig, schnell diejenigen Personen zu identifizieren, die mit einer infizierten Person in persönlichen Kontakt gekommen sind. Den Vorgang der Rückverfolgung von Infektionsketten bezeichnet man als Contact Tracing. Moderne Technologien in Wearables und Smartphones bieten neue Möglichkeiten des Contact Tracings.

3. Infektionsprävention am Beispiel von SARS-CoV-2 und Identifikation von Kontaktpersonen

Um moderne digitale Möglichkeiten des Contact Tracings besser zu verstehen, lohnt es sich zunächst einen Blick auf epidemiologische Grundparameter zu werfen.Bei einem Ausbruchsgeschehen gibt es viele verschiedene Faktoren, die die Dynamik der Ausbreitung bestimmen. So ist es z.B. wichtig, wie viele Personen sich im Durchschnitt an einer Index-Person (einer ersten infizierten Person innerhalb einer Gruppe) anstecken. Diese Zahl nennt man Basisreproduktionszahl (auch bekannt als R-Zahl). Ebenso sollte berücksichtigt werden, wie schnell neu-infizierte Personen selber Symptome entwickeln und die Erkrankung an weitere Personen weitergeben können.Das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) ist eine große Herausforderungen für die klassische Infektionsprävention. Dies liegt zum einen daran, dass etwa jede zweite Person nicht bemerkt, dass sie sich mit SARS-CoV-2 infiziert hat. Man nennt dies einen asymptomatischen Verlauf, also einen Krankheitsverlauf ohne Symptome. Jedoch scheinen diese Personen genauso ansteckend zu sein wie infizierte Personen mit Symptomen [1]. Das große Problem ist, dass asymptomatische Personen, anders als Personen mit Symptomen, wie Fieber und Krankheitsgefühl, weiterhin am sozialen Leben teilnehmen und daher die Krankheit leicht weitergeben können. Eine weitere Herausforderung ist die schnelle Generationszeit bei SARS-CoV-2. Unter der Generationszeit versteht man den Zeitpunkt, ab dem die nächste Generation von infizierten Personen selber infektiös wird und weiter Personen anstecken kann.Es gibt langsam verlaufende Infektionsvorgänge, wie zum Beispiel bei der Tuberkulose, bei der die Generationszeit zwischen der Infektion der ersten infizierten Person zur zweiten infizierten Person mehrere Wochen beträgt. Es gibt aber auch extrem schnelle Generationszeiten von nur wenigen Stunden. Ein klassisches Beispiel für diese schnelle Dynamik sind Durchfallerkrankungen ausgelöst durch das Norovirus. Bei dem neuartigen Coronavirus ist die Generationszeit von vier Tagen relativ kurz. Mit klassischen Methoden wie Fax, Telefon und Brief ist es eine sehr große Herausforderung schnell genug zu sein, um Infektionsketten zu unterbrechen. Es besteht die Gefahr, dass die Kontaktpersonen erst dann identifiziert werden können, wenn diese bereits schon wieder weitere Personen angesteckt haben und man dadurch immer einen Schritt zu langsam ist. Smartere und vor allem schnellere Methoden des Contact Tracings sind daher insbesondere bei der Bekämpfung des neuartigen Coronavirus von großer Wichtigkeit.

4. GPS-Tracker und Co. zur Identifizierung von Kontaktpersonen

In Smartphones und Wearables, den Computern in Miniformat, sind verschiedene Technologien – wie GPS-Tracker oder Bluetooth – verbaut, die für das Contact Tracing, sowie die Erkennung von Krankheitsfällen genutzt werden können. Die Nutzung dieser Technologien bietet sowohl Chancen als auch Risiken.In einem öffentlichen Diskurs muss abgewogen werden, welche Instrumente für eine Infektionskontrolle genutzt werden sollen und welche ethischen Herausforderungen und Risiken damit einhergehen. Bei der Entwicklung von Kontaktanalysen ist ein europäischer Weg anzustreben, der z.B. mittels dezentraler Datenspeicherung die Privatsphäre schützt. Lösungen aus Staaten wie China, aber auch der USA dürfen nicht blind übernommen werden, da dort andere Vorstellungen von Datenschutz und Privatsphäre bestehen als wir sie in Europa haben.

Die Nutzung von Smartphones und Wearables in einem globalen Infektionsgeschehen bieten jedoch große Chancen. Zum einen können Kontaktpersonen einer infizierten Person in kürzester Zeit darüber informiert werden, dass sie Kontaktpersonen sind und soziale Kontakte für eine gewisse Zeitspanne reduzieren sollten. Diese informierten Personen werden gleichzeitig eigene mögliche Symptomatiken aufmerksamer beobachten. Darüber hinaus können Wearables durch eine Analyse verschiedener Parameter, wie unter anderem der Körpertemperatur und des Aktivitätsmusters, zusätzlich frühzeitig symptomatische Personen erkennen und diese Personen darauf hinweisen, dass eine Vorstellung bei einem Arzt sinnvoll sein könnte.

4.1 Anwendungsfelder für Contact Tracing

Neben dem Contact Tracing in der Infektionsprävention gibt es noch weitere interessante Einsatzfelder für Technologien aus dem Bereich der Niedrigenergie-Funktechnik. In einer Studie haben wir zum Beispiel getestet, ob moderne Technologien Feuerwehrleuten helfen können, sich in gefährlichen und unbekannten Umgebungen sicherer zu bewegen [2]. Anders als in der Infektionsprävention, wo ausreichend Abstand zu anderen Menschen gewünscht wird, ist es für die Einsatzkräfte der Feuerwehr entscheidend, sich nicht zu weit von der Einsatzgruppe zu entfernen. Im Feuerwehrszenario können smartphone-basierte Tools zur Abstandsmessung die Sicherheit für die Einsatzkräfte deutlich erhöhen.

5. Smart Distancing

Es ist viel über den Begriff des „Social Distancing“ diskutiert worden. Social Distancing meint, dass soziale Kontakte reduziert werden sollten und wenn dies nicht möglich ist, ein Abstand von mindestens 1,5-2 Metern zwischen den Personen eingehalten werden sollte. Social Distancing kann als Maßnahme der klassischen Infektionsprävention gelten, die nach dem Gießkannenprinzip auf alle Personen ungeachtet ihres Infektionsstatus angewendet wird. Smarte Technologien wie das Contact Tracing mithilfe von Smartphones oder Wearables können helfen, Maßnahmen stärker zu fokussieren und aus einem “Social Distancing” ein “Smart Distancing” zu machen. Unter „Smart Distancing“ wird hierbei verstanden, dass Personen die ein erhöhtes Risiko einer Infektion aufgrund eines stattgefundenen Kontaktes zu einer infizierten Person haben, z.B. durch eine Infektions-App persönlich gewarnt werden und daraufhin individuell ihre sozialen Kontakte zurückfahren und sich je nach Risiko gegebenenfalls in häusliche Quarantäne begeben. Die Maßnahme des sozialen Abstandes wird somit gezielt auf Personen mit stattgefundenen Kontakt zu Infizierten reduziert, während für andere Personen mehr Freiheit bleibt. In einer Modellanalyse konnte gezeigt werden, dass durch gut eingesetztes “Smart Distancing” die Infektionsbekämpfung deutlich effektiver gestaltet werden kann und dabei geringere gesellschaftliche und wirtschaftliche Kollateralschäden auftreten [3].

6. Smarte Infektionsbekämpfung – ein Weg in die Zukunft

Technologien in Smartphones und Wearables ermöglichen vielversprechende Wege der smarten Infektionsbekämpfung nicht nur beim neuartigen Coronavirus, sondern auch bei altbekannten Geißeln der Menschheit, wie der Tuberkulose, Masern und anderen übertragbaren Erkrankungen. Mit Hilfe von digitalem Contact Tracing können Methoden etabliert werden, die genauso oder sogar noch effektiver sind als der Lockdown der gesamten Gesellschaft.

Die Inhalte dieses Artikels geben den aktuellen wissenschaftlichen Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder und wurden nach bestem Wissen und Gewissen verfasst. Dennoch kann der Artikel keine medizinische Beratung und Diagnose ersetzen. Bei Fragen wenden Sie sich an Ihren Allgemeinarzt.

Quellen [3]

  1. Lavezzo, E. et al., 2020. Suppression of COVID-19 outbreak in the municipality of Vo, Italy. DOI: https://doi.org/10.1101/2020.04.17.20053157
  2. Feese, S., Arnrich, B., Tröster, G., Burtscher, M., Meyer, B. and Jonas, K., 2013. Sensing group proximity dynamics of firefighting teams using smartphones. Proceedings of the 17th annual international symposium on International symposium on wearable computers - ISWC '13, pp. 97–104. DOI: https://doi.org/10.1145/2493988.2494332
  3. Ferretti, L., et al., 2020. Quantifying SARS-CoV-2 transmission suggests epidemic control with digital contact tracing. Science, 368 (6491), p.eabb6936. DOI: https://doi.org/10.1126/science.abb6936

Verwandte Artikel

  • Coronavirus
  • Forschung & Studien

Vierte Corona-Impfung

Angepasster Corona-Impfstoff nun besonders sinnvoll

Data4Life

Digitale Lösungen für eine gesündere Welt