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Das Immunsystem verstehen und stärken

Von Antikörper bis Zelloberflächenmerkmale: Das A-Z des Immunsystems

Jeden Tag wird unser Körper einer Vielfalt von verschiedenen Krankheitserregern und körpereigenen bzw. körperfremden Bedrohungen ausgesetzt. Und doch bleiben wir größtenteils gesund. Wir wachsen und entwickeln uns weiter, ohne zu wissen, welche komplexen Auseinandersetzungen tief in unserem Inneren stattfinden. Dies ist unserem Immunsystem zu verdanken, das mithilfe uralter aber anpassungsfähiger Erkennungsmuster für einen hochwirksamen und anhaltenden Abwehrschutz sorgt.

1. Grundsteine der Immunität – das Immunsystem einfach erklärt

1.1 Unterscheidung zwischen „körpereigen und körperfremd”

Immunität bezieht sich auf die Fähigkeit eines Individuums, Krankheitserreger zu identifizieren und gegebenenfalls unwirksam zu machen. Eine Grundvoraussetzung hierfür ist die Entscheidung zwischen Körpereigenem und Körperfremdem (im englischen „self“ und „non-self“) [1], ohne die wir quasi ständig im Kampf gegen uns selbst wären. Der menschliche Körper besitzt das Vermögen, Substanzen und Strukturen zu erkennen, die nicht vom eigenen Körper hergestellt werden und die das Potenzial haben für den Organismus schädlich zu sein. Im Falle von infektiösen Mikroorganismen wie Bakterien, Viren, Pilzen und Parasiten dienen chemische Strukturen auf Zelloberflächen der Fremdidentifizierung. In ähnlicher Art werden auch Pollen, Staub und Schwermetalle sowie im Körper produzierte Gifte und durch Mutationen transformierte, kranke Zellen durch Erkennungsmuster als fremd bzw. schädlich erkannt. So unterscheidet unser Körper nicht nur zwischen „self and non-self“, sondern auch zwischen schädlich und unschädlich. Aus evolutionärer Sicht sind diese Erkennungsmuster vermutlich sehr alt und von wirbellosen Vorfahren vererbt worden.

1.2 Immunogen und Antigen: Definition

Jeder Stoff oder jeder Mikroorganismus, der eine Immunantwort hervorruft, wird Immunogen genannt [2] . Führen Immunogene darüber hinaus zur Produktion von Antikörpern (siehe Antikörper unten), werden sie als Antigen bezeichnet [3]. Die Erkenntnis, dass Oberflächenstrukturen auf Immunogenen bzw. Antigenen quasi als Erkennungsmerkmal dienen, um Fremdes bzw. Schädliches zu erkennen, bildet einen weiteren Grundstein der Funktionsweise des Immunsystems.

2. Funktion des Immunsystems

Unsere Immunabwehr wird in zwei Hauptsäulen unterteilt: Das angeborene (unspezifische) und das erworbene (spezifische) Immunsystem. Beide Systeme beinhalten zelluläre (Immunzellen) und humorale (chemische Botenstoffe) Komponenten. Der Begriff „humoral“ stammt vom lateinischen hūmorālis und bezieht sich auf in Körperflüssigkeiten gelöste Moleküle, die eine Immunantwort unterstützen können. Das angeborene System reagiert auf allgemeine Reize, kann schnell aktiviert werden, besitzt aber kein Gedächtnis. Das erworbene Immunsystem benötigt hingegen einen vorherigen Kontakt zum Antigen, um dann auf sehr spezifische Art tätig zu werden. Es erzeugt also keine Sofortreaktion, aber durch seine Erinnerungsfähigkeit besitzt das erworbene Immunsystem die Fähigkeit nachhaltiger und zum Teil dauerhaft wirksam zu sein.

2.1 Das angeborene Immunsystem

Bei diesem Bereich der Immunität geht es eher um Geschwindigkeit als um maßgeschneiderte Antworten. So besteht die angeborene Immunantwort in erster Linie aus physischen Barrieren, physiologischen Sekreten und generalisierten Reaktionen.

Mechanische Barriere und physiologische Sekrete gegen Erreger

Bevor ein Erreger überhaupt das Innere unseres Körpers erreichen kann, verhindern zahlreiche physische Barrieren den Eintritt. Unsere Haut und Schleimhäute, die Hornhäute unserer Augen und die winzigen Härchen in unserer Nase sind also die erste Widerstandslinie. Sollten Fremdkörper jedoch diese erste Hürde überwinden, werden sie mit den sauren Bedingungen unserer Magensäfte, der Vaginalflora, des Urins und der Sekrete unserer Haut konfrontiert. Teilweise sind sogar Bakterien dafür verantwortlich, den pH-Wert der lokalen Körpermilieus zu beeinflussen, und schaffen dabei dauerhaft ungünstige Bedingungen für das Wachstum vieler Krankheitserreger [4] .

Original Bild: static.apotheken-umschau.de

Zelluläre Bestandteile und Abwehrmechanismen

Sollte es Erregern jedoch gelingen die ersten Barrieren zu überwältigen, werden Immunzellen und chemische Botenstoffe aktiviert. Verschiedenste Arten von weißen Blutkörperchen (Leukozyten) bilden einen wesentlichen Teil des angeborenen Immunsystems. Über unsere Lymph- und Blutkreislaufsysteme überwachen solche Zellen den gesamten Körper. Sogenannte Fresszellen (Phagozyten) erkennen Krankheitserreger anhand von Oberflächenmerkmalen und verschlingen sie. Verdaut und zerkleinert (ein Prozess namens Phagozytose) werden diese Fragmente nun an Zelloberflächenrezeptoren präsentiert. Zellen, die auf diese Art und Weise winzige, verdaute Antigen-Teile auf ihrer Oberfläche darstellen, werden im Fachjargon Antigen-präsentierende Zellen (APC) genannt. Dieser Vorgang signalisiert, dass ein Krankheitserreger eingedrungen ist, und aktiviert wiederum andere Abwehrmechanismen. Außerdem setzen infizierte Zellen chemische Botenstoffe ins Blut frei, um weitere Immunzellen anzuwerben. Zum Beispiel werden weiße Blutkörperchen namens Makrophagen und Mastzellen angelockt, um Entzündungsreaktionen auslösen.

Das Komplementsystem

Immunzellen sind nicht die einzigen Akteure, die an der Immunabwehr beteiligt sind. Wie bereits beschrieben, tragen auch humorale (siehe Erklärung oben) Komponenten dazu bei. Einen Hauptteil der humoralen Immunantwort stellt das sogenannte Komplementsystem dar (im lateinischen bedeutet das Wort “complementum” ergänzen). Dies beruht auf vielen kaskadenförmigen, chemischen Schritten, bei denen ein Botenstoff den nächsten aktiviert. Dies führt wiederum zu weiteren Abwehrmechanismen. Zum Beispiel werden befallene Zellen zügig für die Phagozytose markiert oder Krankheitserreger in Verklumpungen zusammengebracht, um diese dem Immunsystem leichter zugänglich zu machen. Außerdem werden die Oberflächen von Krankheitserregern abgebaut und dabei die Vermehrung gebremst [4].

Die Gesamtheit solcher Reaktionen ist mit einem Angriff an mehreren Fronten mit zahlreichen Beteiligten zu vergleichen!

2.2 Das erworbene Immunsystem

Das erworbene Immunsystem sorgt für eine maßgeschneiderte Antwort, welche im immunologischen Gedächtnis gespeichert wird. Die beteiligten Zellen gehören zu einer Untergruppe der weißen Blutkörperchen namens Lymphozyten und werden als B- und T-Zellen bezeichnet. B-Zellen sind nach der Stelle benannt, an der sie zuerst entdeckt wurden, nämlich in einem Abwehrorgan von Vögeln, der Bursa Fabricii. Die Millionen von B-Zellen, die unser Körper produziert, tragen jeweils einzigartige Rezeptoren auf ihrer Oberfläche, die nur zu einem einzigen Antigen passen. Es ist tatsächlich kaum zu glauben, dass keine zwei B-Zellen die gleichen Rezeptoren besitzen. Bis eine B-Zelle auf ein Antigen trifft, das zu ihrem Oberflächenrezeptor passt, wird sie als naiv bezeichnet. Sobald sie jedoch ein passendes Antigen erkennt, verbinden sich beide entsprechend einem sogenannten Schlüssel-Schloss-Prinzip [5].

Produktion von Antikörpern

Dieser Prozess führt zur Reifung und Teilung der B-Zellen entweder zu Gedächtniszellen oder zu Plasma-Zellen. Neu gebildete Gedächtniszellen weisen die identischen Rezeptoren auf ihrer Oberfläche auf, wie die ursprünglichen B-Zellen. Die gleichen Rezeptoren werden auch von Plasmazellen produziert. Diese sind jedoch nicht an den Zelloberfläche fixiert, sondern werden in das Lymph- und Blutkreislaufsystem abgesondert und heißen dann Antikörper. Sobald sie nicht mehr an Zellen gebunden sind bilden Antikörper den humoralen Anteil des erworbenen Immunsystems.

Das erworbene Immunsystem hat, nach dem ersten Kontakt mit einem Antigen, die Fähigkeit sich an seine Merkmale zu erinnern. Sollte dieses Antigen ein zweites Mal im Körper auftauchen, kann die passgenaue Produktion von entsprechenden Antikörpern sofort eingeschaltet werden, was in den meisten Fällen Krankheiten zu vermeiden mag. Weitere Informationen über die Klassifizierung und Testung von Antikörpern finden Sie hier [6].

Original Bild: Nasky "Illustration of biology and medical,Humoral immunity, antibody-mediated immunity, Virus, Lymphocyte, antibody and antigen"

Aufgabe der T-Zellen

Obwohl sie sich ursprünglich im Knochenmark entwickeln, wandern T-Zellen vor der Geburt und in unseren jüngsten Jahren in die Thymusdrüse (daher der Name T-Zellen). Hier werden sie so lange geschult, bis sie nur auf Fremdkörper reagieren und eine Art Selbsttoleranz gegenüber körpereigenen Partikeln zeigen. Im Gegensatz zu Antikörpern können T-Zellen nicht direkt an ein Antigen binden. Zu diesem Zweck besitzen sie den sogenannten TCR Rezeptor. Antigene werden den TCR durch antigenpräsentierende Zellen (APC, siehe oben) präsentiert [7]. Da die meisten APCs primär zum angeborenen Immunsystem gehören, bilden die T-Zellen eine Art Brücke zwischen den beiden grundlegenden Immunantworten.

Es gibt verschiedene Arten von T-Zellen, deren Rolle es ist z.B. B-Zellen bei der Antikörper-Freisetzung zu unterstützen oder infizierte Zellen zu eliminieren [7] .

Insgesamt lässt sich beobachten, dass ein komplexes Geflecht von miteinander verbundenen und voneinander abhängigen zellulären und humoralen Komponenten zusammenwirkt, um die nachhaltige Verteidigung gegen potenziellen Schaden aufrechtzuerhalten.

3. Immundefekte – Wenn alles nicht so funktioniert, wie es soll

Ein intaktes Immunsystem ist keine Selbstverständlichkeit. Sowohl angeborene als auch erworbene Defekte des Abwehrsystems führen zu unzureichendem Schutz gegen Krankheitserreger. Sogenannte primäre Immundefekte sind von Geburt an bzw. in der frühen Kindheit bereits angelegt. Sie sind selten und oftmals erblich bedingt. Erworbene Immundefekte werden durch eine Vielfalt an Faktoren verursacht, wie z.B. Mangelernährung, Kontakt zu schädlichen Substanzen, als Folge von Krebserkrankungen und bei Organtransplantationen, als Medikamentennebenwirkungen, durch ein hormonelles Ungleichgewicht oder bei Autoimmunerkrankungen [8].

4. Das Immunsystem stärken – Hausmittel und Ernährung

Volksweisheiten und Mythen über eine Stärkung des Immunsystems gibt es zu Genüge. Auch Online-Informationen zu diesem Thema sind reichlich vorhanden. Eine gesunde Ernährung und regelmäßiger Sport tragen sicherlich zu einem gesunden Immunsystem bei, aber inwieweit ist die Wirksamkeit von Hausmitteln eigentlich nachgewiesen? Studien zeigen, dass Vitamin-C-Mangel zu einer Beeinträchtigung der Immunität und einem erhöhten Infektionsrisiko führt [9]. Demzufolge könnte eine Nahrungsergänzung mit Vitamin C empfehlenswert sein, um systemische Infektionen zu behandeln und zu verhindern. Ob dasselbe von Vitamin D behauptet werden kann, bleibt unklar. Es wird vermutet, dass Vitamin-D-Mangel eine Rolle bei der Schwere von bestimmten chronisch entzündlichen Erkrankungen spielt, doch eine Evidenz bezüglich einer Vitamin D Nahrungsergänzung ist uneinheitlich [10].

Die Rolle der Darmflora

Außerdem wird viel über das Gleichgewicht der Darmflora diskutiert und seine Funktion bei der Abwehr von Krankheiten. Studien hierzu deuten zwar darauf hin, dass Probiotika (nahrungsergänzende, lebende Bakterien) eine unterstützende Rolle im Darm spielen könnten. Andererseits wird jedoch betont, dass eine gesunde Darmflora ein sehr individualisiertes Gleichgewicht von Bakterien voraussetzt. Kommerzielle Probiotika können daher nur bedingt auf persönliche Bedürfnisse eingehen [11].

Insgesamt zeigten Studien bezüglich der Anwendung von Hausmitteln meist unterschiedliche bzw. uneinheitliche Ergebnisse. Im Idealfall sollte jedes nicht verschreibungspflichtiges Hausmittel in einem stark personalisierten Kontext betrachtet werden, um eine größtmögliche Wirksamkeit zu gewährleisten.

5. Die Zukunft ist digital

Immunität ist ein hochkomplexes und multidimensionales Feld. Betrachtet man die grundlegenden Säulen und verschiedenen Reaktionswege des Immunsystems, so sind seine Feinheiten leichter verständlich. Man erkennt dabei, dass unser Immunsystem Grenzen hat und manchmal unterstützt werden muss. Während wir sehnsüchtig nach neuen Diagnostik- und Behandlungsmethoden forschen, bieten digitale Ansätze zukunftsorientierte und schnell verfügbare Lösungen. Dazu gehören relevante Apps für die individualisierte Überwachung des Krankheitsverlaufs sowie digitalisierte Impfverfahren.

Teil 2 der Data4Life Artikelserie über Immunität widmet sich den Themen Impfungen, Immunität bzw. Immunitätsnachweise im Coronavirus SARS-Cov-2 Kontext. Zudem gehen wir auf die Frage ein, welche zukunftsweisende Rolle digitale Technologien bei der unterstützenden Erkennung von Krankheiten als auch der Förderung der öffentlichen Gesundheit zukünftig spielen können.

Data4Life

Digitale Lösungen für eine gesündere Welt