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Die vierte Corona-Welle ist da

Jüngere und Ungeimpfte laut Experten besonders betroffen

Die aktuelle Lage laut RKI

Nach Frühjahr 2020, Winterhalbjahr 20/21 sowie Frühjahr 2021 befindet sich Deutschland aktuell in der vierten Corona-Welle. Auch diesmal geht der Blick auf Kenngrößen wie die 7-Tage-Inzidenz, die Auslastung der Krankenhäuser sowie den Impf-Fortschritt. Dadurch ist Vieles vertraut und dennoch grundsätzlich anders.

Steigende Infektionszahlen

Die Fallzahlen sind in den vergangenen Wochen wieder gestiegen – und das früher im Jahr und schneller als noch 2020. Denn dieses Jahr nahm die 7-Tage-Inzidenz bereits seit Anfang Juli zu, während vergleichbare Inzidenzen im letzten Jahr erst gegen Oktober auftraten [1]. 

Deutschlandweit lag die Inzidenz bereits Ende August bei über 70 (pro 100.000). Auch der Anteil an PCR-Tests mit positivem Testergebnis nimmt aktuell zu. Dabei werden derzeit über 99% der Infektionen durch die Delta-Variante (B.1.617.2) verursacht [1].

Grafische Darstellung der 7-Tage-Inzidenz während der Corona-Pandemie
Grafik zum Verlauf der 7-Tage-Inzidenz Quelle

Allerdings unterscheidet sich die Inzidenz je nach Altersgruppe. Waren in der zweiten Welle im Winter noch überwiegend Über-80-Jährige betroffen, steigt die Inzidenz aktuell vermehrt bei den 10- bis 49-Jährigen. In der Altersgruppe von 10 bis 25 Jahren betrug die 7-Tage-Inzidenz Ende August bereits über 100 (pro 100.000). Die zahlen nehmen jedoch auch in den höheren Altersgruppen tendenziell zu [1, 2]. 

Zudem bestehen regionale Unterschiede. Wenig überraschend sind Städte und Ballungsräume insgesamt stärker betroffen als ländliche Regionen. Der Anteil an Fällen, bei denen die Exposition vermutlich im Ausland stattgefunden hat, liegt bei einem Viertel und ist damit einigermaßen unverändert zu den Vorwochen [1]. 

Auch können die Gesundheitsämter nicht mehr alle Infektionsketten nachvollziehen. Die Zahl der an das RKI übermittelten Ausbrüche in Kitas, Horten und Schulen hält sich dagegen momentan auf einem niedrigen Niveau [1].

Das Infektionsgeschehen nimmt also zunehmend an Fahrt auf, jedoch grundsätzlich anders als in den Wellen zuvor. Dies zeigt sich auch in den Krankenhäusern.

Lage in den Kliniken

Tatsächlich steigen auch die Zahlen der Menschen, die wegen ihrer COVID-19 Erkrankung in die Klinik müssen. Allerdings sind diese im Schnitt jünger als bei den vorherigen Corona-Wellen. Aktuell gehen die meisten im Krankenhaus behandelten Fälle auf die Altersgruppe der 35- bis 59-Jährigen zurück. Danach folgen die 15- bis 34-Jährigen sowie die 60- bis 79-Jährigen [1]. 

Nur zum Vergleich: Im vergangenen Winter waren es noch die Über-80-Jährigen, die als Altersgruppe am stärksten im Krankenhaus vertreten waren. Der Altersdurchschnitt der COVID-19-Patienten ist damit von 77 Jahren zu Beginn des Jahres auf etwa 47 Jahre seit Mitte August gesunken [1].

Grafische Darstellung der COVID-bedingten Krankenhausfälle je nach Alter
Grafik zur Altersverteilung der COVID-Patienten im Krankenhaus Quelle

Der Anteil an Patienten, die wegen COVID-19 auf der Intensivstation behandelt werden müssen, ist zuletzt stabil geblieben. Unter den Patienten, die sich aktuell wegen einer Lungenentzündung auf einer Intensivstation befinden, geht etwa jeder dritte Fall auf COVID-19 zurück. Dieser Anteil lag in der zweiten und dritten Corona-Welle auch schon bei 70 bis 80% [1]. 

Der entscheidende Hintergrund für die veränderte Gesamtsituation ist dabei wenig überraschend: Die Mehrheit der COVID-19-Patienten in Krankenhäusern ist aktuell nicht geimpft.

Impfungen und die vierte Corona-Welle

Laut RKI waren am 24.08.2021 64% der Bevölkerung mindestens einmal und 59 % vollständig geimpft. Jedoch stieg der Anteil geimpfter Personen im Vergleich zu Vorwoche nur noch langsam, was auf eine sinkende Impfbereitschaft bei den noch Ungeimpften zurückzuführen sein könnte [1]. 

Auch weiterhin gilt, dass jeder in Deutschland zugelassene Impfstoff wirksam vor einer schweren Erkrankung schützen kann. Jedoch ist hierzu ein vollständiger Impfschutz nötig. So wird das Risiko bei nur einfach geimpften Personen weiterhin als hoch eingestuft [1]. 

Aktuell sind noch 72% der Kinder und Jugendliche im Alter von 12-17 Jahren ungeimpft, 19% dagegen vollständig geimpft. Diese Quote liegt im starken Kontrast zu den Erwachsenen. So wurden bei den Über-60-Jährigen bereits bei 83% und bei den Unter-60-Jährigen immerhin 63% vollständig geimpft [1].  

Doch die Tatsache, dass allein 14% der Über-60-Jährigen noch ungeimpft sind, zeigt, dass es auch künftig eine Herausforderung bleiben dürfte, alle Menschen für eine Impfung zu motivieren. So kann man gerade in dieser Altersgruppe zunehmend eine Abflachung der Kurve beobachten [1]:

Grafische Darstellung der Impfquote je nach Alter
Grafik zur Impfquote je nach Altersgruppe Quelle

Auch kann es gelegentlich zu Impfdurchbrüchen kommen. Dies ist der Fall, wenn es bei einer vollständig geimpften Person zu einer nachgewiesenen Corona-Infektion kommt. Unter all den gemeldeten COVID-19-Fällen bildet die Gruppe der „vollständig Geimpften mit Impfdurchbruch” jedoch die Ausnahme. Der Großteil der Betroffenen war schlichtweg nicht geimpft [1]. 

Zwei Dinge stehen also fest: Die Impfungen haben den weiteren Pandemie-Verlauf wesentlich zum Positiven gewandelt. Und trotzdem ist die Pandemie noch längst nicht vorbei. Umso interessanter sind die Einschätzungen von verschiedenen Experten mit unterschiedlichen Fachgebieten.

Was andere Experten sagen

Sandra Ciesek: Virologin im Corona-Update

Prof. Sandra Ciesek ist Virologin am Universitätsklinikum Frankfurt und tritt im Wechsel mit Christian Drosten beim „Coronavirus-Update”-Podcast des NDR auf. Kurz vor der Sommerpause hat sie darin grundsätzliche Einschätzungen zur vierten Welle und zum weiteren Pandemie-Verlauf abgegeben [3, 4].

Darin teilte sie die Einschätzung des RKI zur vierten Welle. Jedoch zeigte sie sich skeptisch, ob diese allein mit Impfungen zu stoppen wäre [4]:

„Ich denke, man muss schon damit rechnen, dass das weiter ansteigt. Es ist im Moment nicht alleine mit den Impfungen zu bremsen. Dafür reicht es noch nicht.”

Auch zu der Frage, welches Gewicht der Inzidenzwert künftig noch habe und ob dieser als Marker nach oben verschoben werden sollte, nahm sie Stellung [4]:

„Wenn es darum geht, [...] wie viele Menschen [...] hospitalisiert werden müssen oder auf Intensivstationen landen, dann hat sich die Lage durch die Impfung gerade bei der älteren Bevölkerung zum Glück ein wenig entspannt. Da würde man erst bei höheren Inzidenzen den Effekt sehen, dass die Krankenhäuser belastet werden.”

Doch gleichzeitig hebt sie einen weiteren Aspekt hervor, der das bloße „Akzeptieren” von höheren Inzidenzwerten erschwert [4]:

„Wenn man über die Nachverfolgung durch das Gesundheitsamt spricht, dann wird das bei höherer Inzidenz immer lückenhaft und schwieriger fürs Gesundheitsamt. [...] Und da wird es [aktuell] sogar schwieriger, weil junge Menschen normalerweise natürlich mehr Kontakte haben als ältere Menschen.”

Zwar sieht sie weiterhin Anlass, an Vorsichtsmaßnahmen festzuhalten. Ihre Empfehlung fällt dennoch differenziert aus [4]:

„Also ich als Arzt denke: Wir müssen noch ganz viel machen, um die Inzidenz niedrig zu halten und viel Prävention machen. [...] Das ist aber zu unterscheiden von den Gesetzen. Wir können nicht einfach alles verbieten und versuchen, die Inzidenz ganz niedrig zu halten.“

Patrick Larscheid: Lage im Gesundheitsamt

Patrick Larscheid ist Leiter des Gesundheitsamtes im Berliner Bezirk Reinickendorf. Er hat im Verlauf der Pandemie immer wieder in den Medien aus Sicht eines Amtsarztes Position bezogen und jüngst an einem Interview im Deutschlandfunk zum Thema „Vierte Welle” teilgenommen [5].

Auch er hat sich dabei zum Arbeitspensum in den Gesundheitsämtern bei steigenden Inzidenzwerten geäußert [5]:

„Wir arbeiten längst wieder in einem Modus wie in den zweiten und dritten Wellen. [Das] heißt, dass es sehr schwer fällt, Normalbetrieb aufrecht zu erhalten. Wir können jetzt glücklicherweise auf [..] eingearbeitetes Fremdpersonal zurückgreifen.“

Trotzdem sieht auch er die Notwendigkeit, höhere Inzidenzwerte anders zu bewerten als noch in der Vergangenheit [5]:

„Die aktuellen Inzidenzzahlen besorgen mich jetzt nicht mehr so, wie sie mich mal besorgt hätten. Weil wir längst wissen, dass die Inzidenz alleine kein Wert ist, der wirklich entscheidend ist. Etwas, was uns sehr deutlich auffällt, jetzt wo wir ja von einer Krankheit reden, die vor allem die Jüngeren trifft, [...] weil die Älteren geimpft sind, [ist], dass die Verläufe völlig anders sind.“

Bei diesem Punkt geht er ins Detail [5]:

„Wir hatten in der ersten und zweiten Welle das Problem, dass wenn in einer Pflegeeinrichtung ein Ausbruch ist, [...] ungefähr 15-20 % [der Bewohner] versterben. [...] Das ist Gott sei dank so nicht mehr. Vor allem bei den ganz Kleinen, den Kindern, sehen wir jetzt [...]: Wir testen die zwar positiv, aber die Kinder fühlen sich gut, die sind gesund klinisch.“

Trotzdem hebt er mit Blick auf die nächsten Wochen hervor, dass die Belastungsgrenze seiner Mitarbeiter bald erreicht ist [5]:

„Also viel schlimmer als jetzt darf es eigentlich nicht werden. Weil wir tatsächlich auch personell wieder an Grenzen stoßen.“

Reinhard Berner: Aus der Kinder- und Jugendmedizin

Prof. Dr. Reinhard Berner ist Leiter der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Dresden. Auch er hat jüngst an dem Interview im Deutschlandfunk zum Thema „Vierte Welle” teilgenommen und bezog dabei insbesondere Stellung zur Rolle von Kindern [5]:

„Ja, wir sehen das natürlich an den Zahlen [..], dass [die Inzidenzen] in den unterschiedlichen Altersgruppen verschieden sind. [Also] dass jetzt die jungen Erwachsenen von den Infektionen stärker betroffen sind, [aber] ja nicht unbedingt von der Krankheit. Und ich glaube, das ist einfach ein wichtiger Punkt, dass [...] man die verschiedenen Altersgruppen separat angucken muss. Und was die Kinder und Jugendlichen angeht, können wir im Moment einigermaßen entspannt [...] sein.”

Denn was das Gesundheitsrisiko der Kinder selbst angeht, gibt es laut Studien gute Nachrichten [5]:

„[Da konnten wir sehen], dass die Kinder sich seltener infizieren und sie insgesamt [...] auch weniger schwer krank werden. Ganz viele der Kinder [machen] die Infektion ja völlig ohne Symptome durch [...]. Die[se] Beobachtung, die wir seit Beginn der Pandemie gemacht haben, hat sich auch letztlich durch die Delta-Variante nicht verändert.“

Auch die zu Beginn der Pandemie vorherrschende Sorge, die Kinder könnten zu den „Treibern” der Pandemie werden, hat sich seitdem nicht bewahrheitet [5]:

„Worum es geht, ist ja die Frage, wie häufig im Vergleich zu Erwachsenen Kinder die Infektion weitergeben. Zu Beginn der Pandemie war die Auffassung, dass es sich ähnlich verhalten müsse, wie bei der Influenza. Wo wir wissen, dass die Kinder, vor allem die jungen Kinder, sehr intensiv das Virus an Erwachsene weitergeben. Die Beobachtung hat sich aber nicht bestätigt. Wir sehen bei den Kindern und vor allem bei den kleinen Kindern, dass sie das Virus deutlich seltener weitergeben als Erwachsene.” 

Zudem befürwortet er, dass die Ständige Impfkommission (STIKO) die Impfung auch für 12- bis 17-Jährige freigegeben hat [5]:

„Das Risiko spricht eindeutig für das Impfen, auch für das gesamte Land. Es bleibt aber eine individuelle Entscheidung der Kinder und ihrer Eltern.“

Jedoch dämpft er die Hoffnung, Corona würde irgendwann komplett aus unserem Leben verschwinden [5]:

„Die Herdenimmunität ist ein Irrglaube. Sie bezieht sich auf Krankheiten, die ich ausradieren kann, wie die Masern oder die Pocken. Das wird bei Corona oder der Influenza niemals gelingen. Die Frage ist: Wie viele sind geimpft, wie viele sind geschützt? Es wird Wellenbewegungen geben, und wichtig ist, dass wir über den Winter kommen.“

Christine Falk: Sicht einer Immunologin

Prof. Christine Falk ist Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie und hat Ende August in einem Interview Aussagen zum künftigen Verlauf der Corona-Pandemie gemacht. Bei all dem hat sie als Immunologin stets das menschliche Immunsystem im Fokus [6]. 

Mit Blick auf die Pandemie-Entwicklung in Herbst und Winter hat sie noch „Bauchschmerzen” [6]:

„Ich bin immer eigentlich auf der optimistischen Seite unterwegs, weil man auch sieht, wie gut die Impfung wirkt. [...] Es sind sehr wenige Menschen, die geimpft sind und sich infizieren, das heißt: Die überwiegende Anzahl besteht aus Ungeimpften, die sich anstecken. Und die, die sich dann trotz Impfung noch infizieren, sind aus der älteren Gruppe. Das ist eine ganz klare Assoziation mit Vorerkrankungen und höherem Alter. [...] Gleichwohl muss ich sagen, dass einfach Zahlen mit über 10.000 pro Tag etwas sind, was mir schon Sorge macht, weil wir davon ausgehen können, dass es eben [dann doch] Menschen gibt, die schwerer erkranken.”

Dabei hat sie insbesondere Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, im Kopf. Ihrer Meinung nach wird die Herdenimmunität vermutlich kommen, aber eben zu einem hohen Preis [6]:

„Denn es wird nicht möglich sein, diesem Virus zu entkommen. Wir haben jetzt schon hohe Zahlen, wir haben sehr viel Kontakte, wir haben wieder mehr Mobilität, und die Menschen werden sich dann, ob sie wollen oder nicht, anstecken, wenn sie sich nicht impfen lassen. Ich sehe das tatsächlich so, dass wir „durch sind“ im nächsten Jahr – und die Frage ist, wie hoch der Preis ist. Ich hätte ihn gerne sehr niedrig. Ich hätte gerne einen guten Impfschutz und wenig Infizierte.”

Die Lage hat sich gebessert

Auch wenn der Winter noch Herausforderungen mit sich bringen wird, gibt es viel Anlass zu Optimismus. Die Impfstoffe wirken und in vielerlei Hinsicht ist die Situation grundverschieden zu vorherigen Wellen.

Nichtsdestotrotz bleibt das RKI in seinen Empfehlungen eindeutig: An erster Stelle steht natürlich die Impfung. Jedoch wird darüber hinaus – unabhängig vom Impf-, Genesenen- oder Teststatus – dringend dazu geraten, das Infektionsrisiko möglichst gering zu halten [1].

Und dies gelingt nur mit den altbewährten Alltagsmaßnahmen bestehend aus dem Einhalten der AHA+L-Regeln, der Reduzierung unnötiger Kontakte, dem Meiden von potenziellen Super-Spreading-Events und dem konsequenten Isolieren sowie Testen bei bereits leichten Krankheitszeichen [1].

Die Inhalte dieses Artikels geben den aktuellen wissenschaftlichen Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder und wurden nach bestem Wissen und Gewissen verfasst. Dennoch kann der Artikel keine medizinische Beratung und Diagnose ersetzen. Bei Fragen wenden Sie sich an Ihren Allgemeinarzt.

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